: Mit Kirchenworten durch die Republik
In der Stuttgarter Erklärung der evangelischen Kirche vom 19. Oktober 1945 heißt es: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“ Das war erstes Resultat eines durch eigene Verstrickung mit dem nationalsozialistischen Regime geborenen Verständnisses der Protestanten. Weitere Schlußfolgerungen wurden gezogen: Kirche dürfe sich in einem demokratischen Gemeinwesen aus weltlichen Dingen nicht heraushalten, im Gegenteil. So intervenierte die evangelische Kirche mehrmals und nachhaltig seit 50 Jahren für eine liberale und menschenrechtsorientierte Politik. Dabei war der innerkirchliche Meinungsprozeß stets der gleiche: Zunächst reagiert man im „Konsultationsprozeß“ konservativ, um danach die gesellschaftlich virulenten Diskussion aufzugreifen und sie dann zu unterstützen. Auf Kirchentagen der fünfziger Jahre begann sich erster Widerstand gegen Adenauers Credo „Keine Experimente“ zu formieren. Daß zum demokratischen Procedere nicht Anpassung an das Gegebene gehört, übten die Protestanten schon 1963, Motto: „Mit Konflikten“. Am erfolgreichsten war der Einfluß in puncto Aussöhnung mit den osteuropäischen Ländern und bei der Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Früh forderte die evangelische Kirche die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Willy Brandts Entspannungspolitik wurde antizipiert in der EKD-Denkschrift zur Ostpolitik. Schon seit Anfang der sechziger Jahre gibt es auf Kirchentagen ein Forum „Juden und Christen“.
Auch in der Friedenspolitik war es die evangelische Kirche, die der Idee, daß Konflikte ohne Waffen ausgetragen werden sollten, auf die Sprünge halfen. Zwar widersetzten sich nur wenige Christen der Wiederbewaffnung Mitte der fünfziger Jahre, aber danach optierten sie durchweg für eine Politik des Nichtmilitärischen.
Auch in der Frauenfrage oder – wie aktuell – der Frage nach alternativen, nicht nur heterosexuellen und familiären Lebensformen ist es vor allem die Basis, die neue Wege begehen will. Der Evangelische Kirchentag Mitte Juni wird dafür sorgen, daß das „Sozialwort“ der Kirchen nicht nur Geste bleibt. Sein Motto: „Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben“. JaF
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