: Theater im Ghetto
■ Ein erstes Buch zum Jüdischen Kulturbund in Hamburg 1934-1941
„Unser äußeres, nüchtern reales Leben ist bis zum Rande mit einer Dramatik angefüllt, gegen die alles Bühnenspiel verblassen muß. Dennoch möchten wir auf jene Empfindungen und Gefühle nicht verzichten. Denn wir brauchen Tröstungen...“, heißt es in der Hamburger Jüdischen Rundschau 1938. Ein Jahr später brennen in Deutschland die Synagogen.
Bedeutung und Ambivalenz des im Hamburger Kulturbund organisierten jüdischen Theaters zeigt die eben veröffentlichte Doktorarbeit Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund 1934-41. Die Stärke dieser Studie von Barbara Müller-Wesemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Theaterforschung der Uni Hamburg, liegt in den gesammelten Zitaten: Aussagen von Verfolgten, die im Angesicht Hitlers Theater spielten.
Der Gründung des Jüdischen Kulturbundes waren Berufsverbote für jüdische Künstler vorausgegangen. Juden durften nur noch für Juden spielen. Der Versuch der jüdischen Selbstorganisation traf sich also mit dem Bemühen der Nazis, deren Kultur zu ghettoisieren. Die Kulissen dieser Ghettoisierung sind dem Hamburger Leser nur allzu vertraut: das Schauspielhaus in der Kirchenallee, das seine jüdischen Mitarbeiter gleich 1933 entließ; 1935 die erste eigene Bühne des Jüdischen Kulturbundes Ecke Fuhlentwiete/Kaiser-Wilhelm-Straße; ab 1938 die Hartungstraße 9-11, das heutige Theater der Kammerspiele, als Sitz des Kulturbundes.
Der Titel des Buches, Theater als geistiger Widerstand, ist dabei mißverständlich. Müller-Wesemann selbst schreibt, es gehe ihr um die „identitäts- und mitunter lebenserhaltende Bedeutung der Kunst“. Die Frage nach darüber hinausgehendem, offensivem „Widerstand“streift die Autorin nur im Schlußkapitel. Immer wieder belegt sie aber, wie die Existenz des Kulturbundes eine von den Nazis definierte war – auch sein „Widerstands“-Potential. 1936 wollte das Propagandaministerium dem Hamburger Kulturbund aus seinem Hamlet den Monolog „Sein oder Nichtsein“streichen. Grund: Die Zeilen „denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel, der Mächtgen Druck“waren unerwünscht.
Am 11.9.1941 löste die Gestapo den Jüdischen Kulturbund auf. Die Jüdische Gemeinde von Hamburg, vor 1933 die viertgrößte Deutschlands, wurde nahezu vernichtet. Obwohl wenig analytisch, meist beschreibend, nicht immer leserfreundlich, hat Müller-Wesemann doch eines geleistet: Sie hat in gewissem Sinne nachträglich den Nazis einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn was diese auslöschen wollten, hat ihr Buch dokumentiert. Jonas Viering
Barbara Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund 1934-41. Verlag für Wissenschaft und Forschung, Stuttgart 1996, 579 S., ca. 65 DM
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