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Alle nehmen die Kirche beim Wort

■ Alle picken sich aus dem Sozialwort der katholischen und evangelischen Kirche das Passende heraus. Nur CDU-Generalsekretär Peter Hintze zeigt sich ziemlich entrüstet über soviel politische Einmischung

Berlin (taz) – Allen wohl und fast niemandem weh: Das Sozialwort der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland hat beinahe durchweg zustimmende, ja totlobende Reaktionen hervorgerufen. Gestern stellten Klaus Engelhardt, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, und Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, das in einem zweijährigen „Konsultationsprozeß“ erarbeitete 90seitige Papier in Bonn vor. Darin wird unter dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ teilweise scharf der neoliberale Kurs der CDU/CSU/FDP-Koalition kritisiert und eine Rückbesinnung auf das erfolgreiche Konzept der sozialstaatlichen Milderung der Marktwirtschaft gefordert.

Bundeskanzler Helmut Kohl umschmuste die Stellungnahme der Kirchen als erster, lobte das „klare Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft“ und versprach, die Thesen in den kommenden Monaten in der CDU „in manchen Punkten auch notwendigerweise kontrovers“ zu diskutieren. SPD- Chef Oskar Lafontaine begrüßte hingegen das Plädoyer für mehr soziale Gerechtigkeit. Eine Ermutigung sei, so Saarlands Ministerpräsident, daß nach Meinung der Kirchen große Vermögen stärker für gesamtstaatliche Aufgaben herangezogen werden sollten.

Wie erwartet bescheinigte Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) den Kirchen, eine „Schutzmacht des Sozialstaats“ zu sein, prangerte bei dieser Gelegenheit den „herzlosen Egoismus“ der Neoliberalen an und fand, daß das Kirchenwort der „Gewissenserforschung der Gesellschaft“ dienen sollte. Überraschender hingegen FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle, der ein „vorsichtiges Bekenntnis der Kirchen“ zur Sparpolitik im „Sozialwort“ entdeckte. Die grüne Bundestagsabgeordnete Christa Nickels stellte lapidar fest, das Kirchenwort entspreche „in weiten Teilen nicht der Regierungspolitik“. Neben dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/ CSU meldete sich auch der DGB zu Wort. Die Gewerkschaften begrüßen, daß die Kirchen „die Globalisierung nicht als Naturereignis hinzunehmen“ bereit seien.

Doch das „Sozialwort“ mußte auch nervöse Kritik einstecken. Vom Bund Katholischer Unternehmer abgesehen, der das Papier für seine Zwecke als wenig hilfreich abtat, mahnte CDU-Generalsekretär Peter Hintze, selbst Theologe, die Kirchen, sich künftig aus der praktischen Politik herauszuhalten. Deutlicher wurde der CSU-Politiker Eduard Oswald: „Die Verfasser belasten ihr eigentliches Anliegen, zum Grundkonsens einer zukunftsfähigen Gesellschaft beizutragen.“

Jan Feddersen Reportage Seite 11

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