Ohrfeige der Militärs für Erbakan

Nach der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates beugt sich türkische Ministerpräsident den Forderungen der Generäle, gegen die weitere Islamisierung von Staat und Gesellschaft vorzugehen  ■ Von Ömer Erzeren

Die türkischen Militärs haben mit einer scharfen Erklärung die Regierungskoalition unter dem islamistischen Politiker Necmettin Erbakan verwarnt. Die nach einer neunstündigen Sitzung verabschiedete Erklärung des „Nationalen Sicherheitsrates“ ist die schärfste Stellungnahme seit dem Militärputsch 1980. „Regimefeindliche“, „reaktionäre“ Strömungen versuchten den „demokratischen, laizistischen“ Staat zu bekämpfen. Der Laizismus, die verfassungsrechtlich verankerte Trennung von Staat und Religion, sei nicht nur die Garantie des Regimes, sondern auch der Demokratie und „Lebenspraxis“.

Die Erklärung des „Nationalen Sicherheitsrates“, dem neben fünf Generälen der Staatspräsident, der Ministerpräsident, der Verteidigungsminister, sowie Außen- und Innenministerin angehören, kündigt „Sanktionen“ an, falls der Erklärung zuwidergehandelt werde. Offener kann man kaum mit einem Putsch drohen. Der Regierung werde ein Maßnahmenkatalog unterbreitet werden. Unter dem Druck der Militärs mußten die zivilen Mitglieder des Rates, allen voran Ministerpräsident Necmettin Erbakan, der Erklärung zustimmen.

Die Grundzüge des angekündigten Maßnahmenkatalogs wurden gestern publik. Die Regierung soll demnach gegen die „fundamentalistische“ Unterwanderung des Beamtenapparats vorgehen, schärfere Strafgesetze gegen Anhänger eines theokratischen Regimes, Kontrolle islamistischer Medien und der religiösen Schulen in Gang setzen. Die Erklärung des Nationalen Sicherheitsrates ist die Abrechnung der Militärs mit der achtmonatigen Regierungszeit Erbakans, der die Islamisierung von Staat und Gesellschaft vorantreibt, um den radikalen Flügel seiner Parteibasis zu befriedigen.

„Dies ist ein Strafantrag gegen die Regierung“, kommentierte Oppositionsführer Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei die Erklärung des Sicherheitsrates. Der Parteivorsitzende der sozialdemokratischen „Republikanischen Volkspartei“, Deniz Baykal, sieht das Ende der Regierung nahen. Ministerpräsident Erbakan versucht indes den Eindruck zu erwecken, daß das Memorandum nicht gegen seine Regierung gerichtet sei. Er versprach , die „Spannung“ zu vermindern. In dieser Woche will er mit den Oppositionsführern zusammenkommen. Erbakans Koalitionspartnerin Tansu Çiller, die als Außenministerin an der Sitzung teilnahm, rühmte die türkische Armee als „Wächter der Demokratie“. Keine Maßnahme der Regierungskoalition habe sich gegen den Laizismus gerichtet. Niemand solle die Religion für politische Zwecke mißbrauchen. Doch die Regierungsparteien müßten ein Auge auf ihre Basis werfen. Çiller spielt damit auf Aktivitäten der „Wohlfahrtspartei“ an, die die Militärs provozierten, etwa die Einladung des iranischen Botschafters zu Veranstaltungen oder durch offenes Auftreten von lokalen Funktionären für einen theokratischen Staat.

Die Bedingungen, die die Generäle an Erbakan gestellt haben, um seine Ministerpräsidentschaft zu dulden, sind schwer erfüllbar. Erbakan müßte die eigenen politischen Auffassungen beiseite legen und die Parteibasis vergraulen. Wie lange der von zwei Fronten bedrängte Erbakan dem Druck standhält, ist ungewiß.