Kein Bock auf Vereinsmeierei

taz-Serie: Sportstadt Berlin (zweite Folge). Über 500.000 Berliner sind Mitglied im Verein – Tendenz abnehmend. Gerade kleine Vereine geraten ins Abseits  ■ Von Christine Berger

Dreimal in der Woche verwandelt sich das Stadtbad Tiergarten in ein Wellenbad. Dann trainieren hier lauter große und kleine Delphine, pflügen um die Wette durchs Wasser und toben sich ordentlich aus. 109 Jahre hat der Schwimmclub Delphin e.V. mittlerweile auf dem Buckel, und ein paar Schwimmer scheinen dem Jahrgang des Vereins schon recht nahe zu kommen.

„Manche von uns schwimmen hier schon Ewigkeiten“, meint der 20jährige Markus Lehmann und deutet auf das Seniorengrüppchen, das für sein hohes Alter noch beachtlich zügig das Wasser zerteilt. Er selber schwimmt seit zehn Jahren im Verein. In letzter Zeit hält er sich immer öfter am Beckenrand auf.

Nicht, daß ihm das Schwimmen keinen Spaß mehr machen würde, aber in seinem Alter ist das Training fast nur noch Freizeitspaß. Wer es wettkampfmäßig im Schwimmsport zu etwas bringen will, der ist mit zwanzig Jahren schon zu alt. So kümmert sich der Kfz-Mechaniker als Jugendleiter um die Jüngeren und hilft beim Training mit.

Die alten Hasen des Vereins sind froh, daß Jugendliche wie Markus überhaupt noch da sind. 150 Mitglieder hat der Schwimmclub in den letzten vier Jahren verloren, das ist mehr als ein Drittel des ganzen Vereins. Daß es dem kleinen Club so schlecht geht, hat verschiedene Gründe, vor allem aber liegt es daran, daß Schwimmen trotz Franzi-Kult kein Trendsport ist. Gerade Kinder und Jugendliche, die den Nachwuchs eines jeden Vereins bilden, orientieren sich immer mehr an Sportidolen, die gerade modern sind.

Kein Wunder also, daß sich derzeit Vereine mit Basketball oder Kampfsport im Programm vor neuen Mitgliedern kaum retten können. Das kann sich schnell wieder ändern, wenn plötzlich eine andere Sportart im Trend liegt. Sportgemeinschaften, die nur eine Disziplin anbieten, leben deshalb gefährlich.

Besser geht es da den Großvereinen wie dem Post SV mit knapp 50.000 Mitgliedern. Dreißig Sportarten bietet der Club an, und schon längst sind nicht mehr nur Angehörige der Briefbehörde gern gesehen. Auf die Zeichen der Zeit reagieren die professionellen Manager des Sportvereins flexibel. Step- Aerobic, Modern Dance oder Tai Chi sind seit einiger Zeit mit Erfolg im Programm.

Längst werden beim Post SV nicht mehr alle Kurse über ehrenamtliche Trainer abgedeckt. Bezahlte Übungsleiter sorgen zwar für Probleme, weil sie den Neid der ehrenamtlichen Helfer auf sich ziehen, in manchen Bereichen garantieren sie dafür ein hohes sportliches Niveau. Und das wiederum lockt auch den Nachwuchs an. Kinder sind vor allem am Wettkampf interessiert und gehen lieber zum Training, wenn der Verein Aussichten auf Erfolg läßt.

Wird das Kräftemessen verboten, wie etwa beim Angelsport, bleiben auch die Kids weg. Seit sieben Jahren ist Turnierfischen aus Tierschutzgründen verboten. Die vielen Pokale, die noch immer in Vereinslokalen wie etwa bei „Gut Biß“ e.V. am Tegeler See stehen, lassen erahnen, welche Rolle einmal das Wettangeln gespielt haben muß. Um überhaupt noch am Turnierleben teilhaben zu dürfen, widmen sich mittlerweise viele Angelvereine dem Casting-Sport. Hier geht es nicht mehr um den Fisch, sondern um bloßes Ziel- und Weitwerfen von künstlichen Fliegen oder Gewichten mit Angelruten. Doch das begeistert auch nicht eben viele Jugendliche. So sitzen die Veteranen der Vereine immer öfter alleine auf den Terassen ihrer Klubhäuschen, züchten Geranien und reden von alten Zeiten.

Dietmar Bothe vom Landessportbund sieht vor allem für jene der 1.845 Berliner Vereine eine Zukunft, die sich um den Freizeitsport für Erwachsene kümmern. „Erwachsene finanzieren im Prinzip die Jugendarbeit im Verein“, weiß er. Bei Wettkampfsportarten wie Handball, Fußball oder Leichtathletik springen die über 30jährigen oft ab und treten aus dem Verein aus. Gerade Frauen werden nach Meinung von Bothe in den Klubs zu wenig umworben. Derzeit sind in Berlin doppelt so viele Männer wie Frauen im Sportverein.

Manche Vereine bieten schon erfolgreich an, was der Landessportbund im Prinzip allen Vereinen empfiehlt. Freizeitsportgruppen, die je nach Jahreszeit zusammen eine Radtour machen oder Volleyball spielen, stehen derzeit hoch im Kurs. Solcherlei Gruppensport gibt Pärchen die Möglichkeit, etwas zusammen zu unternehmen und dennoch Kontakt zu Gleichgesinnten zu knüpfen – ohne Leistungsdruck und sportliche Eintönigkeit. Hochkonjunktur hat auch der Boule-Sport, bei dem es längst nicht nur ums perfekte Werfen der Kugeln geht. Am Wochenende treffen sich beispielsweise auf dem Mittelstreifen der Schloßstraße in Charlottenburg zwei Dutzend Spieler, trinken zwischen den Würfen ein Gläschen Rouge, plaudern und genießen den Tag. Daß solche Treffen vor allem der Geselligkeit dienen, kommt meist den Kneipen rund um die Sportareale zugute. In der Boule-Kneipe „Kastanie“ ist an sonnigen Tagen kein Platz mehr frei.

Daß Sport auch Spaß machen kann und nicht immer nur mit Leistung verbunden sein muß, hat sich im Ostteil der Stadt noch nicht so richtig herumgesprochen. Vor der Wende wurde der Freizeitsport nur am Rande gefördert. Kinder und Jugendliche waren in ein ausgeklügeltes Talentsuchsystem eingebunden und hatten entweder die Alternative, Berufssportler zu werden oder der exzessiven Körperarbeit den Rücken zukehren.

Die Vereinsarbeit ist deshalb in Ostberlin wesentlich schwieriger. „Im Osten muß ein Erwachsener drei Jugendliche mitfanzieren“, so Bothe. Im Westen liegt die Quote bei eins zu eins. Auch ältere Mitglieder, die der Jugend mal einen Satz neue Bälle stiften oder einen Zuschuß zur Ferienfreizeit geben, sind im Osten rar gesät.

Nicht nur, daß die Sportkultur heute vor allem von Trends bestimmt wird, auch die Komfortgewohnheiten haben sich verändert. Das gilt vor allem für Sportarten wie zum Beispiel Badminton. „Du kommst zur Turnhalle rein, es ist arschkalt. In den Umkleideräumen stinkt es, die Duschen funktionieren auch nur kalt“, beschreibt die ehemalige Vereinsspielerin Dorothea Vogt die Atmosphäre beim Training. Nicht nur, daß sie die Netze vor jedem Spiel mitaufbauen mußte, bevor sie den Schläger in die Hand nehmen konnte, hat sie gestört. Vor allem die ungemütliche Atmosphäre war für Vogt irgendwann unerträglich.

Seit zwei Jahren spielt die 34jährige nun in einem privaten Badminton-Center. „Da zahl' ich zwar mehr, aber ich kann kommen, wann ich will, und eine Sauna gibt es auch“, so die Computerfachfrau. Partner, mit denen sie sich in ihrer Freizeit zum Spielen verabredet, kennt sie genug, und falls niemand Zeit hat, schaut sie auf das Pin-Board des Centers. Dort annoncieren Leute, die einen Spielpartner suchen. „Auf diese Art lernt man auch mal jemand Neues kennen“, sagt sie.

Auf Geselligkeit, wie sie im Verein gestaltet wurde, verzichtet Vogt mittlerweile gerne, „denn das war doch immer so ein Klüngel, immer dieselben Themen, die gleichen Weihnachtsfeiern“. Wenn sie Lust auf Leute hat, setzt sie sich jetzt nach dem Spiel noch in die angrenzende Sportbar und fertig. Kein Gruppendruck in puncto Faschingsparty oder Weihnachtsbasar, ganz zu schweigen von ehrenamtlichen Aufgaben wie Training der Jüngeren und so weiter.

Mit ihrer Einstellung zum Sport liegt Vogt im Trend. Sport wird immer öfter als Freizeiterlebnis empfunden, das man in möglichst angenehmer Atmosphäre erleben möchte. Sofern man nicht am Mannschaftssport interessiert ist, möchte man sich keinen Trainingszeiten unterwerfen, sondern Sport machen nach Lust und Laune. Auch Arbeitszeiten am Nachmittag oder Abend schrecken manchem vom Schwitzen im Verein ab, denn tagsüber gibt es so gut wie kein Angebot.

Konkurrenz macht den Sportgemeinschaften, besonders in einer Großstadt wie Berlin, das vielfältige Freizeitangbot öffentlicher Einrichtungen. Bildungsvereine, Bezirksämter und Volkshochschulen verfügen neben privaten Sportstudios über ein gewaltiges Kursangebot, das vor allem zum unverbindlichen Kennenlernen einer Sportart animiert. „Auf dem Land sind oftmals vierzig Prozent der Bewohner im Verein, weil es sonst nichts gibt“, so Landessportbundsprecher Bothe. In Berlin schließt sich gerade mal jeder siebte einem e.V. an, um in Schwung zu kommen.

Das Engagement über den Sport hinaus läßt zwar in den Vereinen immer mehr zu wünschen übrig. Mitglieder, denen die Aufgaben als ehrenamtliche Trainer oder Vorsitzende am Herzen liegen gibt es jedoch immer noch. Der Vorsitzende des Delphin- Schwimmclubs, Bernd Grun, zum Beispiel ist über seine Kinder zum Verein gekommen.

„Wir saßen da immer vor der Schwimmhalle und haben gewartet, bis das Training vorbei war, und irgendwann fand sich keiner, der was macht.“ Da hat sich Grun bereit erklärt, und schwups war er mittendrin im Vereinsgetümmel. Spaß macht ihm die Arbeit vor allem, wenn er etwas bewegen kann. Besonders die Kinder- und Jugendarbeit ist ihm wichtig. Ferienfreizeiten, Bastelstunden und Ausflüge schaffen Gemeinschaftsgefühl auch noch über das Schwimmen hinaus.

Derzeit setzt Grun alles daran, neue Mitglieder zu werben. Die Erhöhung der Eintrittspreise in den Schwimmbädern hat ihm dabei schon ein wenig geholfen. „Seitdem schicken wieder mehr Eltern ihre Kinder zu uns“, sagt er. Kein Wunder, denn Schwimmen im Verein ist billig: zehn Mark im Monat für dreimal Schwimmtraining pro Woche.