: Der Ekel vor der Provinz
taz-Serie: „Brennpunkt Masterplan“. Die Königsvorstadt zwischen Strausberger Platz und Alex soll ihre alte Struktur wiederbekommen. Und die Bewohner? ■ Von Kathi Seefeld
Nee“, sagt Magdalena Sebaldt und stemmt die Hände in die Hüften. „Det war hier immer schon so. Nich, Erna?“ Erna Masche, Magdalena Sebaldts Nachbarin aus dem 3. Stock, nickt. „Zum Alex hier die Mollstraße runter und dann rüber, nach links, die Karl-Liebknecht lang.“ „Genau“, sagt Erna Masche: „Wenn man 30 Jahre an einem Ort wohnt, kennt man sich aus.“ Daran, daß an dieser Stelle einmal die Landsberger Straße quer durch das Wohngebiet zum Alexanderplatz verlaufen ist, können sie sich nicht erinnern. „Das wäre uns garantiert aufgefallen“, ist Erna Masche überzeugt.
Als die beiden Frauen vor mehr als 30 Jahren in die sogenannte Königsvorstadt zogen, jene Gegend zwischen Moll- und Holzmarktstraße, zwischen Alexander- und Strausberger Platz, da waren nicht nur die Spuren des Krieges beseitigt worden, sondern auch die alten Straßenzüge. Für Erna Masche und Magdalena Sebaldt begann das Leben in der „Karl-Marx-Allee – zweiter Bauabschnitt“ mit dem Einzug in die helle, neue Wohnung eines Plattenbaus.
Doch nicht nur die vorhergegangene Geschichte der Königsvorstadt kennen sie nicht. Auch vom „Masterplan“ und „Planwerk Innenstadt“ haben sie noch nichts gehört. Sie ahnen nicht einmal, daß es gerade ihr Haus ist, frisch saniert seit noch nicht allzu langer Zeit, das der historischen Straßenschneise vor dem „Haus der Gesundheit“ teilweise im Weg steht und demzufolge abgerissen werden soll. Der Grund: Mit der „monolithisch, monofunktionalen und geschichtslosen“ Stadtstruktur, so Masterplaner Hoffmann-Axthelm, soll nun Schluß sein.
„Ganz zufällig“, untertreibt Peter Meyer, „ist daraus auch ein Ost-West-Streit geworden. Der „Ost“-Architekt aus Zepernick und sein Büro erhielten im Sommer letzten Jahres vom Bezirksamt Mitte den Auftrag, die Entwicklungsmöglichkeiten des Wohngebiets „Karl-Marx-Allee II“ zwischen Strausberger Platz und Alex zu untersuchen. Aber Meyer machte dabei andere Entdeckungen als die Stadtplaner „West“ und Autoren des „Planwerks Innenstadt“, Dieter Hoffmann-Axthelm und Bernd Albers, die im Auftrag von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) arbeiten. „In der Königsvorstadt wohnen eine ganze Menge Leute. Sie wohnen gern dort, und das ist ganz wesentlich“, sagt Meyer.
Dabei teilt Meyer die Ekel Hoffmann-Axthelms vor der städtebaulichen Moderne. Nicht umsonst, sagt er, sei er damals in keines der sogenannten Wohnungsbaukombinate gegangen, sondern habe sich eine andere Arbeit gesucht. Der Ostler versteht den Westler: „Immerhin hat Hoffmann-Axthelm dadurch Kreuzberg vor dem Schlimmsten bewahrt, Leute vor der Verdrängung geschützt.“
Doch nun ekeln Dieter Hoffmann-Axthelm auch die Bewohner eines Stadtteils an. Sie seien so provinziell, daß sie nur sich selbst ertragen, kolportiert Meyer seinen Westkollegen. Weil sie Zuzug fürchten, Angst haben vor Verdrängung? „Die hatten Kreuzberger auch“, ist sich Meyer sicher.
Im Restaurant „Sternchen“, dem einzigen im zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, würde sich auch Peter Meyer nie verabreden. In Plattenbauweise klebt es hinter dem einstigen „Einkaufszentrum“ und jetzigen „Plus- Markt“ des Wohngebietes. Die Innenausstattung ist neu, aber dunkel. Karl-Heinz Feige und seine Frau kommen schon seit 30 Jahren ins „Sternchen“, um gelegentlich ihr Bier zu trinken. „Wir machen dann immer einen Spaziergang durch das Viertel, gucken, was sich verändert hat und spannen ein wenig aus.“
Die Feiges wohnen „eigentlich ganz woanders, fast schon am Hauptbahnhof“. Doch Karl-Heinz fühlt sich in der Gegend hier wohl. „Der Lärm der Straße, der Mief der Abgase, das fällt hier, nur eine Ecke weiter, alles von einem ab.“
Als „nach dem Kriege alles in Schutt und Asche lag“, hat Feige als Student beim Enttrümmern geholfen. In der Gegend, wo einst mehr als 40.000 Menschen gelebt hatten, waren vielleicht noch 2.000 Wohnungen bewohnbar. Feige hat gesehen, wie der östliche Teil der Stalinallee aufgebaut wurde und sich wie viele Jungen seines Alters amüsiert über „die riesigen Säulen, die nichts zu tragen hatten“. An die Landsberger Straße, die weiterführende Achse von der Landsberger Allee zum Alex, kann auch er sich nicht erinnern.
Es ist, als hätte in diesem Zentrum vor 1960 niemand gelebt, sagt Stadtplaner Dieter Hoffmann- Axthelm. „Blödsinn“, widerspricht Jana Kaulich. Jana ist 17 und seit 17 Jahren in der Plattenbausiedlung zu Hause. Sie kennt ein paar interessante alte Gebäude im Viertel. Ein Stück alte Fabrik, das Haus der Gesundheit, eine alte Poliklinik auf der anderen Seite der Karl-Marx-Allee, die inzwischen zu einem Seniorenwohnheim umgebaut wird und ihr Gymnasium. „Wir haben sogar ein bißchen in seiner Geschichte geforscht, als es 50jähriges Namensjubiläum hatte.“ Ihr „Traum vom Wohnen“ seien zwar die „Hackeschen Höfe“, sagt Jana lachend. Aber in der Königsvorstadt, da wohne sie gern. Seit der Bezirk einen neuen Sportplatz hinter der 9. Grundschule gebaut hat, treffen sie und ihre Freunde sich fast täglich dort. Auch der Sportplatz liegt in der Schneise, die der alte, neue Straßenzug zum Alexanderplatz nehmen soll. Auch der Kinderspielplatz, wo die sechsjährige Astrid ihrer kleinen Schwester gerade eine Schippe Sand auf den Kopf haut.
„Ein paar Geschäfte mehr wünschen sich hier alle“, weiß die Friseurmeisterin vom „Salon City“. Noch haben 35 Friseurinnen und Friseure ausreichend Arbeit, doch neue Kunden würden eher die Salons an den großen Geschäftsstraßen gewinnen. Der Bezirk ist sich einig: Wenn schon Attraktivitätssteigerung und Verdichtung des Gebietes, dann so, wie es das Zepernicker Architekturbüro vorgeschlagen hat: „Schritt für Schritt die freien Grundstücke bebauen und im Auge behalten, wie der Kiez das verkraftet.“ Einfach dürfte selbst das nicht werden. Einzelne Grundstücke seien von der Treuhand „wahllos“ vergeben worden, so Meyer, bezirkliche Interessen schwer durchzusetzen.
Dort, wo einst das Hotel „Berolina“ in den Himmel ragte und „Trigon“ heute Büroräume in die Höhe baut, will der Bezirk Mitte sein Rathaus einrichten. Depressionen fürchten die Bezirkspolitiker beim Anblick des „urbanen Entwicklungslandes“ keine. Mittes Baustadträtin Karin Baumert hatte gar verschmitzt gefragt: „Wie kommt es, daß ich als Kind dieser Stadtentwicklung so fröhlich bin?“
„Die Leute hier werden mich auch für meine Vorschläge nicht unbedingt lieben“, ist sich Architekt Peter Meyer sicher. Er erwartet es auch nicht. Was er aber erwartet, ist eine Diskussion, die im Ergebnis mehr sein könnte, als daß „Ost“ oder „West“ recht behalten. Hans Stimmann, stellt Meyer anerkennend fest, kenne sich mehr als jeder andere in der DDR-Stadtplanung und Architektur aus. „Nur, er versteht sie nicht.“ Nur deshalb könne der Staatssekretär für Stadtentwicklung davon sprechen, „vernachlässigte Orte neu beleben“ zu wollen. Die „Masterplaner“, weiß Peter Meyer, müssen tricksen, wenn sie nicht allzuviel abreißen wollen. „Sie schaffen damit aber lediglich eine pseudohistorische Struktur“, sagt er.
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