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„Man soll seinen Körper nicht disziplinieren“

■ Die Ernährungswissenschaftlerin Ulrike Gonder (35) hält nichts vom Schlankheitswahn

taz: Ist die Vorstellung von dem, was einen Menschen dick sein läßt, nicht kulturell geprägt?

Ulrike Gonder: Sicherlich. Aus der Geschichte wissen wir, daß die Schönheitsideale sich ändern. Im Mittelalter galt ein Beleibter als attraktiv. Dürre Frauen signalisierten, daß sie für harte Zeiten nicht taugen, vor allem nicht als Mütter. Schön waren üppige Frauen wie die, die Rubens gemalt hat.

Heute heißt es: Dick ist igitt. Viele schaffen es nicht, der schlanken Norm zu entsprechen.

Das ist tragisch, denn Diäten nützen überhaupt nichts. Seit den fünfziger Jahren weiß man, daß das Körperprofil des Menschen fast zur Hälfte von genetischen Faktoren abhängig ist. Diäten laufen immer dem Körperprogramm zuwider. Das Gewicht kann nicht vom Verstand gesteuert werden.

Spielen Ernährung und Bewegung denn gar keine Rolle?

Keine überragende. Jeder soll sich soviel bewegen, wie er oder sie möchte – aber ohne Zwang. Der grobe Bereich des Körpers ist vorbestimmt, da bleibt wenig Spielraum für Diätexperimente.

Wenn eine Diät scheitert, fehlt es wohl an der nötigen Disziplin?

Man soll seinen Körper mögen und nicht disziplinieren. Diäten empfindet der Körper als Krieg. Wenn er keine Nahrung erhält, obwohl er gerne welche hätte, fängt er an, sparsamer zu arbeiten. Er versucht, das Gewicht zu halten. Selbst wenn der Gewichtsverlust gelingt, versucht der Körper, die verlorenen Pfunde wiederzubekommen.

Das ist der Jojo-Effekt?

Jeder, der schon einmal Diät machte, kennt ihn. Zahlreiche Untersuchungen belegen, daß Männer und Frauen nach etlichen Diätversuchen hernach mehr wiegen als vor ihrem ersten Abnehmversuch. Aus einem Mops läßt sich nunmal keinen Windhund machen – und umgekehrt gilt dies auch.

Ärzte versuchen, dem Stoffwechsel beizukommen.

Da darf man nicht herumexperimentieren – das ist wirklich Medizin gegen die Natur der Menschen. Jeder wertet Nahrung anders aus. Körperliche Normen stehen immer gegen die Verschiedenheit der Menschen. Wir haben alle unterschiedliche Füße, Augen, Hände und eben auch verschiedene Körperprofile.

Dicke, klagen die Krankenkassen, werden öfter krank.

Diese Erkenntnis nützt nichts. Das wäre ungefähr so, als würde man herausfinden, daß Menschen mit Schuhgröße 39 seltener von Herzinfarkten betroffen sind. Menschen mit größeren Füßen nützt das gar nichts. Soll man denen die Füße abschlagen? Man muß sich akzeptieren: Wie man ißt und ist.

Interview: Jan Feddersen

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