: Wurde Kobra falsch gefüttert?
■ Lübecker Brandprozeß: Gutachter kritisiert das Computer-Szenario von Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaft
Wenn es um „Kobra 3D“geht, läßt Rainer Könneke sich so leicht nichts vormachen. Schließlich hat der promovierte Physiker das Computer-Simulationsprogramm, mit dem sich die Ausbreitung von Bränden posthum rekonstruieren läßt, im Auftrag des Bundesforschungsministeriums in den achtziger Jahren selbst mitentwickelt.
Doch mit einigen Anwendern seines Programms ist Kobra-Erfinder Könneke nicht zufrieden. Nachdem die Brandexperten des Bundeskriminalamtes (BKA) mit Kobras Hilfe zu der „Erkenntnis“kamen, daß das verheerende Feuer im Lübecker Flüchtlingsheim im ersten Geschoß ausgebrochen sein müßte, setzte sich der Vater des Simulationsprogramms selber an den Computer. Und kam zur genau entgegengesetzten Schlußfolgerung.
Am 44. Verhandlungstag des Lübecker Brandprozesses legte Könneke als Sachverständiger dar, daß nach allen vorliegenden Erkenntnissen ein Ausbruch des Feuers im hölzernen Vorbau der Unterkunft – hier vermutet auch die Verteidigung den Brandherd – wesentlich wahrscheinlicher sei als ein Entflammen des Brandes im ersten Stock. Damit widersprach er diametral Staatsanwalt Michael Böckenhauer, der sich in einer Wochenzeitschrift mit den Worten zitieren ließ, dank der Computersimulation könne nun definitiv „ausgeschlossen werden“, daß der Brand im Vorbau ausgebrochen sei.
Für Könneke läßt sich ein Brandherd im Vorbau aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse hingegen „wesentlich harmonischer erklären“als die von der Staatsanwaltschaft vermutete Brandstiftung durch den Angeklagten Safwan Eid im ersten Stock. Wäre der Brand dort entstanden, rechneten Könneke und Kobra nach, hätte das Feuer auch eine Viertelstunde später den Vorbau noch nicht erfaßt gehabt. „Ein Übersprung des Feuers von oben nach unten“sei „schwer nachvollziehbar“, belehrte der Gutachter seine BKA-Kollegen.
Viel früher als der Vorbau hätte das zweite Geschoß durch die aufsteigenden Flammen und heißen Gase in Brand gesetzt worden sein müssen. Doch Zeugenaussagen und Fotos belegen eine andere Reihenfolge: Vorbau und erster Stock brannten bereits lichterloh, bevor das Feuer auch die oberen Geschosse des Hauses verwüstete.
So kommt Könneke mit Kobras Hilfe zu dem Ergebnis, daß der dokumentierte Brandverlauf einen Ausbruch des Feuers im Vorbau nahelegt, von wo die Flammen sich durch einen „starken Kamineffekt“im Treppenhaus rasant nach oben ausgebreitet und erst den ersten, später dann auch den zweiten Stock und das Dachgeschoß in Brand gesetzt hätten. Daß das BKA mit demselben Programm zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen ist, führte Könneke gegenüber der taz darauf zurück, daß seine KollegInnen bei ihrer Modellrechnung von Ausgangsvoraussetzungen ausgegangen sind, die für ihn „nicht nachvollziehbar“seien.
Marco Carini
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