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Ein Haus aus alten Sittenresten

■ Die Bosnierin Emina Kamber hat den Krieg in Ex-Jugoslawien von Deutschland aus beschrieben

Ihre Kunst entsteht, wenn es dunkel ist. Tagsüber ist keine Zeit für Bilder oder Gedichte. Dann hetzt Emina Kamber vom Büro des Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) zu bosnischen Künstlern und von dort zu Kursen in die Volkshochschule. „Aber die Nacht“, sagt die Bosnierin, „die gehört mir.“

Erst vier, fünf Stunden Schlaf, dann schreibt sie Gedichte oder malt – beschreibt ihr Leben in Hamburg, den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und das, was er zerstört. Dem Horror der Kämpfe kann sich die Bosnierin nicht entziehen, obwohl sie ihn von hier aus erlebt hat. In ihrer jüngsten Brief-, Bilder- und Gedichtsammlung Hamburger Kriegstagebuch erzählt sie vom Helfen wollen und nicht können; und von einem Land, das plötzlich drei Länder ist.

Mit dem Krieg ist Kambers letzter Fetzen Heimatgefühl verschwunden – ersatzlos. Denn obwohl sie seit drei Jahrzehnten in Hamburg lebt, fühlt Emina Kamber sich hier nicht zuhause. 1968 ist sie mit ihrem Mann hergezogen, aus einem Vorort von Sarajevo in ein Billstedter Kellerzimmer. „Alle Bekannten in Bosnien haben uns bewundert, wenn wir erzählt haben: Wir leben in Hamburg“, erinnert sich Kamber. „Wir fanden es schrecklich hier.“

Das Zimmer war eng, die Sprache fremd. Unmöglich, wie in Bosnien ein Leben als Schriftstellerin zu führen. „Plötzlich bin ich wieder/ die Sechsjährige“, schreibt sie in einem Gedicht. In einem anderen verklumpen serbokroatische Worte für „Brot“und „Salz“mit den deutschen Begriffen, die Entscheidung für eine Sprache fällt schwer. Jetzt, 29 Jahre später, denkt und träumt die Künstlerin auf deutsch, besitzt einen deutschen Paß. Nur Gedichte schreibt sie auf serbokroatisch und übersetzt anschließend.

Seit in Bosnien der Krieg ausbrach, haben viele Flüchtlinge von Kambers Deutschkenntnissen profitiert. Und von ihrer Hilfsbereitschaft. Im Haus der Künstlerin lebten zeitweise 17 Bosnier. Sie erledigte Behördengänge, tröstete, bezahlte Essen und Kleidung – 22 Monate lang. Dann war Emina Kamber pleite. Das Haus mußte sie verkaufen. Als Anerkennung für ihr Engagement bekam sie im vergangenen November die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik. Die Flüchtlinge haben sich nicht bedankt. Macht nichts, findet Kamber: „Ich weiß: Wenn ich Hilfe brauchen würde, wären sie für mich da.“

Mittlerweile leben Kambers Gäste auf Flüchtlingsschiffen oder in Notunterkünften. Und ackern vielleicht an der gleichen Sisyphosarbeit wie ihre Gastgeberin: das Heimweh zu akzeptieren. „Ich hasse es, wenn jemand sagt: Du mußt zurück nach Bosnien, da ginge es Dir besser“, schimpft Kamber. Zwei Urlaubswochen in Sarajevo dauert es erfahrungsgemäß, „dann packt mich die Sehnsucht nach deutschen Rapsfeldern“. Also bleibt die Künstlerin in Hamburg und lebt die Kultur-Mischung. Bosnische Bräuche, moslemische Freunde, deutsche Gedanken. „Ich bin nur noch das/ was von den Sitten überiggeblieben ist“, schreibt sie in einem Gedicht. Wer eine Festlegung verlangt, stößt auf Wut: Schwer genug sei es, daß der Krieg in Bosnien sie zwinge, von der Jugoslawin zur Bosnierin zu werden, sagt Kamber leise. Außerdem bedeute „Heimat“auf serbokroatisch „domovina“: das Haus, aus dem man kommt. Und das kann auch ein geistig-kulturelles sein.

Judith Weber

Erscheint demnächst: „Hamburger Kriegstagebuch“, Verlag Bosnisch-Europäisches Wort, Wuppertal

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