: „Besser, wenn wir etwas mitnehmen“
Heute morgen wurden die ersten Hamburger Bosnier abgeschoben. Mit drei Frauen auf dem Flüchtlingsschiff „Bibby Stockholm“, deren Duldung bald ausläuft, sprach ■ Elke Spanner
Vor ein paar Nächten, kurz vor dem Einschlafen, hatte Sovada P. eine brillante Idee. Ein kurzes Strahlen huscht über ihr schmales Gesicht. „In ganz Kljoc gibt es nur zwei oder drei Kopierer“, weiß sie. Warum also nicht versuchen, fragt sie aufgeregt, vom Projekt „Starthilfe für Bosnien“ein Kopiergerät zu bekommen, um nach ihrer Rücckehr einen Copyshop in Kljoc zu eröffnen?
Heute um 5.30 Uhr sollten die ersten vier BosnierInnen abgeschoben werden – die geplanten Proteste verschiedener Initiativen dürften daran nichts ändern. 24 weitere Flüchtlinge folgen in den nächsten Tagen. Mit dem Bus geht es nach Berlin, von da aus in die zerstörte Heimat zurück. Einige Männer müssen mit leeren Händen nach Bosnien zurückkehren. Für sie ist eine „Starthilfe“nicht vorgesehen, denn die kriegt zur Belohnung nur, wer freiwillig ausreist.
Bei Sovada P. und Minka V. ist die Verzweiflung über die bevorstehende Zwangsrückkehr Pragmatismus gewichen. „Wir müssen sowieso zurück.“Minka V. zuckt mit den Achseln. „Dann ist es besser, wenn wir was mitnehmen.“Sie ist Holztechnikerin, ihr Mann Tischler. Sie wollen versuchen, Werkzeug, Bohrmaschinen und Sägen aufzutreiben, um den Grundstock für eine eigene Tischlerei mitzubringen.
Das Projekt „Starthilfe für Bosnien“wurde Anfang März vom Hamburger Senat vorgestellt. Es bietet BosnierInnen Sachspenden, um ihnen eine Existenzgründung im Herkunftsland zu ermöglichen. Die Flüchtlingshilfe (
Minkas Zimmer auf dem Flüchtlingsschiff „Bibby Stockholm“in Neumühlen ist eng. Die Frauen trinken Kaffee und plaudern: über ihre Kinder, ihre Vergangenheit, die Zukunft. „Ich bin nicht interessant“, nimmt Minka V. sich zurück. Sie weist auf die anderen Frauen. „Sie sind viel schlimmer dran als ich. Ich kann in mein Haus zurück.“Doch wenn sie sich auch in der Hierarchie der Bosnierinnen, die in den nächsten Wochen von der „Rückführung“bedroht sind, ganz hinten anstellt – auch ihr bleibt keine Wahl. Im Mai läuft ihre Duldung aus. Und auch Minka ist sich sicher: „Es ist zu früh, zurückzukehren.“
Die Gemütlichkeit der Kaffeerunde ist heute gestört. Im Hintergrund läuft ein Video. Aufnahmen aus Bosnien. Der Schwager von Sovada P. hat in ihrer Heimatstadt gefilmt und der Verwandten das grausame Dokument geschickt: Ein Massengrab von BosnierInnen wird geöffnet. Särge werden auf einem großen Platz aufgebahrt. In einem liegt Sovadas Mutter, in einem anderen ihr Vater. Vier Jahre lang wußte sie nicht, was mit ihrer Familie geschehen war. Im November kam das Video. Vierzig der 242 im Massengrab geborgenen Personen konnten nicht identifiziert werden. Eine davon ist wahrscheinlich Sovadas Bruder. Ihr Ehemann wird noch vermißt. Im August soll Sovada P. mit ihren beiden Kindern in die Stadt Kljoc zurück, in der das alles geschah.
Am kommenden Dienstag haben die Frauen zusammen einen Termin bei der Arbeiterwohlfahrt. Dort wollen sie sich nach der „Starthilfe“erkundigen. Auch Bahra D. will mitkommen. Die anderen konnten sie überzeugen. Sie mußten sie überreden, denn ihr Entsetzen über die bevorstehende Rückkehr hat Bahra D. in den Vorbereitungen gelähmt. „Was soll ich vorbereiten, ich weiß doch nicht, wohin ich soll“, sagt sie und fängt an zu weinen. Früher, in Jugoslawien, da war sie wer; zusammen mit ihrem Mann hatte sie eine große Schneiderei-Werkstatt. Die Familie war reich. Wenn sie jetzt zurücckommt, hat sie nichts.
Bahra D. holt aus ihrer Brieftasche ein Foto ihres Hauses hervor. Ihre Heimatstadt Modriza ist besetzt, das Haus ebenfalls. Es ist ein großes Haus. Vom Balkon winken fröhlich ihre Kinder herunter. Ein zweites Foto zeigt die Familie bei der Hochzeit ihrer Tochter. Auf dem Bild sind Bahras Haare braun. Heute ist die Fünfzigjährige hellgrau.
Schon dieses Wochenende läuft Bahras Duldung aus. Nach Modriza in ihr Haus kann sie nicht zurück, also wird sie mit ihrem Mann, ihrem Sohn und dessen Frau in die Nachbarstadt Gredac ziehen. Dort haben die Eltern ihrer Schwiegertochter ein Haus – völlig zerstört. Bis sie es gemeinsam wiederaufgebaut haben, werden sie zu siebt in einem Zimmer leben müssen. Sie wollen versuchen, über das Projekt „Starthilfe“Nähmaschinen zu bekommen, um einen Neustart als SchneiderInnen zu versuchen. Ob sie die Maschinen bekommen werden? Schulterzucken.
Auch Sovada P. hat bei der Rücckehr keine Wohnung, keinen Job, nicht einmal eine Familie, mit der sie ihre Zukunftsängste teilen und die Zukunft planen kann. Dennoch liegt viel Kraft in ihrer Stimme, als sie sagt: „Ich bin traurig um meinen Mann, um meine Eltern. Das sind die eigentlichen Probleme für mich.“Für einen kurzen Moment wendet sie ihren Blick vom Fern-seher ab. Dort werden soeben in einer Ansprache die Namen der Serben verlesen, die das Massengrab anlegten.
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