: Weich wie Cord
■ In seinem letzten Tatort, "Brüder", ermittelt Martin Lüttge gegen sich selbst. Ein Nachruf (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD)
„Vielleicht gibt es noch etwas anderes auf der Welt als Leichen, Verhöre und Mörder“, mutmaßt der Kommissar auf dem Weg zum Tatort. „Schauen Sie besser nicht hin“, rät ihm seine Assistentin, „der Kerl hat ihr das ganze Gehirn weggepustet.“
Irgendwie konnte einem diese Miriam Koch schon immer auf die Nerven gehen. So tough wie ihr Nagellack war sie, ehrgeizig, besserwisserisch und bis an die Schmerzgrenze konventionell. Wie anders dagegen Hauptkommissar Flemming! Weich wie seine Cordhosen, sensibel, fast verletzlich. Ein Kulturmensch eben. Praktisch schon ein Mädchen.
Das Düsseldorfer „Tatort“- Gespann aus Roswitha Schreiner und Martin Lüttge war eines der besten, das sich der WDR je ausgedacht hat. Schon zu Beginn 1992, als noch Klaus Behrend mitspielte, waren die Rollen gut verteilt: „Sie schießt, er rennt, ich brumme rum“, faßte Martin Lüttge zusammen. Und genau so war es auch – selbst als Kollege Ballauf schon bis zu Sat.1 gerannt war.
Mit vielen kleinen Marotten und privaten Sorgen im Handgepäck spielten die beiden Zurückgebliebenen Hase und Igel: Dort, wo die Koch mit ihren Polizeimethoden landete, hatte Flemming sein Instinkt schon hingeführt. Am Sonntag werden sie ihren Parcours ein letztes Mal absolvieren, um am Ende mit Tränen in den Augen zu erkennen, daß es – Leichen hin oder her – eine schöne Zeit war.
Eine junge Studentin wird erschossen. In einer Gegend, in die sie nicht gehört, in einem Wagen, den sie sich nicht leisten kann, mit einer Kugel, die auf einen professionellen Killer schließen läßt. Die Spur führt in das Wahlkampfbüro eines Kommunalpolitikers, der – Gott und Drehbuchautor Wolfgang Brenner haben es so gewollt – Flemmings Bruder ist. So recht ist diese Verwandtschaft eigentlich zu nichts nütze. Allein: Auf diese Weise kann Martin Lüttge noch einmal beweisen, daß dieser Kommissar sich sogar selbst an die Wand spielen kann.
Die privaten Verstrickungen nehmen kein Ende. Die Koch ist schwanger und hat deshalb ungewohnt nah am Wasser gebaut. Flemming, kurz vor seiner Pension, ermittelt ungeahnt hartherzig und staatstreu bis in die Fußspitzen gegen den eigenen Bruder. Wichtiger als die etwas konstruierte Auflösung der Tat ist die Diskussion moralischer Fallhöhen: Darf der META-Konzern ein Genlabor bauen und gleichzeitig seinen ärgsten Feind, den Spitzenkandidaten der Bürgerpartei sponsern? Darf man als Schwangere in die Toilette einer Verdächtigen kotzen und sich dann mit ihr anfreunden? Und darf man seinen Bruder wie jeden anderen Politiker behandeln?
Immer wieder wird gefordert, Krimihelden in einer Welt zu zeigen, in der es noch etwas anderes als Leichen, Verhöre und Mörder gibt. Lüttge und Schreiner zeigten dies immer anschaulich, während sie ihre Helden daran höchst glaubhaft zweifeln ließen. Es ist schade, daß die besten Fernsehkommissare am Ende immer lieber Theater spielen wollen. Tröstlich immerhin, daß Martin Lüttge nun ausgerechnet mit einem Stück auf Tour geht, das „Der Kommissar, der Komödiant, der Tod und die Liebe“ heißt. Klaudia Brunst
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