Autogrammpostkarten verteilt er noch nicht

Günter Nooke ist einer von mehreren Bürgerrechtlern, die zur CDU gewechselt sind. Wenn einer von ihnen Chancen hat, in der Partei aufzusteigen, dann er. Sein erster großer Auftritt ist in Berlin bei der Bundestagswahl geplant – in der Höhle des Löwen, in Prenzlauer Berg/Mitte. 1994 gewann dort Stefan Heym für die PDS  ■ Von Manuela Thieme

Günter Nooke zupft verlegen an seinem Bart. Der Beifall will nicht aufhören. Er ist Gast der Jahrestagung vom Ring Christlich- Demokratischer Studenten und hat gerade etwas über „die Rolle der Bürgerrechtler in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ erzählt. Die jungen Leute applaudieren immer noch. Jetzt erheben sie sich sogar. Standing ovations. Günter Nooke verbeugt sich etwas unbeholfen und zeigt mit den Händen an, daß sie sich setzen sollen. Sie klatschen noch heftiger. Günter Nooke strahlt. Sein Kopf nickt ein Dankeschön nach dem anderen von der Bühne. Studenten kommen nach vorn und fotografieren ihn. Fehlt nur noch, daß jemand ein Autogramm will.

Fast kichernd sagt CDU-Neuling Günter Nooke: „Gefeiert zu werden bin ich überhaupt nicht gewohnt.“ Seine sonst so tiefe Stimme ist vor Freude drei Etagen höher geklettert. Vor allem aber ist er erleichtert, daß seine Entscheidung wieder mal bestätigt wurde: „Diese Partei hat sich um uns bemüht, wir sind hier willkommen. Die Aktion am 17. Dezember war völlig richtig.“ Das Datum holt er immer wieder hervor wie ein Erinnerungsfoto. Aktion 17. Dezember. Das klingt nach Aufstand, nach Revolte. Es war eine Pressekonferenz. Danach hatte die CDU zunächst sieben Mitglieder mehr, allesamt Bürgerrechtler, gute Menschen also. „Oder ist die CDU etwa schlechter geworden durch unseren Beitritt?“ fragt er launig in die Runde der Studenten. Der Auftritt vor dem RCDS gehört zur Parteitournee, die Günter Nooke jetzt absolviert. Bevor er sich zu den Vertriebenen wagt, braucht er ein paar Lockerungsübungen. Mit Standing ovations rechnet er dort nicht, aber damit könnte er leben. Beim Bündnis 90 war er auch nie Publikumsliebling.

Als Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag hatte er einigen Einfluß, aber nur eine kleine Fangemeinde. Erst machte er 1993 die Vereinigung mit den Grünen nicht mit: „Sie wollen eine linke Alternative sein, und dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“ Dann ließ er 1994 die Ampelkoalition wegen Stolpes Stasi-Verstrickungen platzen: Er ist im Untersuchungsausschuß zu der Überzeugung gelangt, daß der Ministerpräsident lügt. Und unter so einem Regierungschef wollte er nicht arbeiten. Günter Nooke ist hartnäckig, eigensinnig, unbequem. Dafür wird man selten bejubelt. Sollte es ihm nun ausgerechnet in der CDU anders ergehen, muß man entweder über die Partei nachdenken oder an Günter Nookes alten Qualitäten zweifeln.

Zumindest äußerlich hat er seinen Stil bisher nicht geändert. Seine Anzüge sind noch nicht politikergrau, die Schuhe sehen weiter so aus, als ob sie vor allem bequem sein sollen, und seine Hemden könnte er nach wie vor auch ohne Schlips tragen. Als er noch zum Bündnis 90 gehörte, galt Günter Nookes Kleiderordnung als ziemlich bürgerlich; seit er auf CDU- Veranstaltungen unterwegs ist, sieht er doch eher salopp aus, wie er so daherkommt. Wuchtige Gestalt, leichtfüßiger Gang, offenes Jackett – selbst in der Umgebung der parteinahen Universitätsjugend vom RCDS versprüht er mehr Frische als seine Zuhörer. Mit 38 ist er zwar einige Jahre älter als sie, doch zwischen Fönfrisuren, Aktenkoffern und Funktelefonen geht Günter Nooke mit Bart, Umhängetasche und hochgekrempelten Ärmeln glatt als Exot durch.

Drei Monate ist der jetzt CDU- Mitglied. Da er in Berlin lebt, lernt er erst mal die Parteigeographie der Hauptstadtunion kennen, in der bekanntlich Bezirksgrenzen, Erbhöfe und Abgründe peinlich genau zu beachten sind. „Ich bin noch dabei, das Gelände zu erkunden“, weicht er elegant einem ersten Fazit aus. Günter Nooke ist keiner, der drauflos plaudert und Geschichten erzählt. Er setzt nicht Dinge in die Welt, um dann mal zu sehen, welche Schlagzeilen daraus entstehen. Nicht mal aus Gerüchten, die ihn selbst betreffen, macht er eine Nachricht.

Schon seit Wochen wird in Berlin darüber spekuliert, ob Günter Nooke im Bundestagswahlkreis Prenzlauer Berg/Mitte antreten wird. Wenn das stimmt, gibt es hier ein Gipfeltreffen all jener Parteien, die im Osten halbwegs etwas zu melden haben. Zuletzt gewann der Schriftsteller Stefan Heym ein Direktmandat für die PDS, SPD- Vize Wolfgang Thierse will die Niederlage von damals wettmachen, und auch Marianne Birthler von den Bündnisgrünen wird als Kandidatin gehandelt.

Mitte Februar versuchte Günter Nooke noch, ganz den Ahnungslosen zu spielen: „Aha, solche Sachen werden über mich erzählt...“ Vier Wochen später sagt er immerhin schon: „Ich weiß gar nicht genau, wie und wann die CDU-Basis ihre Kandidaten nominiert.“ Günter Nooke erweckt gern den Eindruck, ein Partei-Azubi zu sein. Doch er hat von 1989 bis 1994 hauptberuflich Politik gemacht, da nimmt man ihm die staunende Lehrlingsrolle einfach nicht mehr ab. Trotzdem bleibt er dabei: kein Kommentar zu möglichen Wahlkreisambitionen.

Wilma Glücklich, die bisher für die CDU in Prenzlauer Berg/Mitte die Stellung gehalten hat, bekam ihr Bundestagsmandat über die Landesliste. Als Vorsitzende der Frauenunion hatte sie darauf einen sicheren Anspruch. Günter Nooke kann keine Funktion vorweisen, die ihn sozusagen automatisch nach Bonn bringt. Er hat auch keine reale Chance, den Wahlkreis zu gewinnen. Aber er hat die Aussicht, richtig bekannt zu werden in diesem Prominentenschaukampf. Und er hat gute Freunde. Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister und CDU-Landesvorsitzende, gehört dazu. Auch Klaus Töpfer ist ein Name, der öfter fällt. Die Sache mit der Liste klingt also gar nicht so unwahrscheinlich.

Nach Brandenburg wird er jedenfalls nicht zurückkehren, das steht fest. Die dortige 18,6-Prozent-CDU könnte zwar ein paar Charakterköpfe gut gebrauchen, doch da bei Stimmenzuwachs höchstens eine Große Koalition herauskommt, ist für Günter Nooke diese Option nicht interessant. Der Regierungschef würde ja wieder Manfred Stolpe heißen. Gegen den war er 1994 noch einmal mit dem neugegründeten „Bürgerbündnis“ angetreten. Mehr als ein Konkurrenzverein zu den Bündnisgrünen ist damals nicht daraus geworden. Am Ende blieben beide auf der Strecke, die Nooke-Truppe schaffte nicht einmal ein Prozent. Wenn er sich nun zu einem Neuanfang entschließt, dann in Berlin. Wenigstens das bestätigt Günter Nooke: „Unter den Linden ist es zwar nicht schöner, aber interessanter als in der Uckermark.“ Die Abstimmungen über die Wahlkreiskandidaten stehen im Frühherbst an.

Bis dahin kann Günter Nooke weiter das CDU-Terrain sondieren und mit Sätzen wie „Ich habe einen tollen Job, ich weiß gar nicht, ob ich den aufgeben möchte“, neugierige Nachfragen abwehren. Seit seinem 94er Untergang als politischer Einzelkämpfer arbeitet er bei einer Bundesbehörde, die sich um die Sanierung der Braunkohleflächen im Osten kümmert. Milliarden werden da bewegt, er ist für das „Controlling“ zuständig. Auch Tagebaue aus seiner alten Heimat verwaltet er mit.

Er stammt aus der Lausitz, den ersten Teil seines Lebens hat er in dem kleinen Städtchen Forst verbracht. Er studierte Physik in Leipzig, kehrte zurück und fing beim Arbeitshygieneinstitut an. In die Politik geriet er durch den evangelischen Friedenskreis und ein bißchen auch durch seine Kinder. Als die erste seiner drei Töchter in die Schule kam, wurde ihm klar: „Dreißig Jahre DDR-Pädagogik überlebst du nicht, und deinen Kindern kannst du das nicht zumuten.“ Dazu die Umweltsünden, die unmögliche Medienpolitik, der dreiste Wahlbetrug – es kam viel Ärger zusammen. Im Herbst 89 organisierte er Demonstrationen und wurde zum lokalen Wendehelden.

Er nennt diese Erinnerungen selbst „Veteranengeschichten“. Ein paar davon erzählt er den Studenten auf der RCDS-Tagung. Er erklärt ihnen auch, daß seine Leitbegriffe immer „Freiheit und Verantwortung des einzelnen“ waren. Andere Mitstreiter aus der DDR- Opposition hätten mehr auf Gleichheits- und Gerechtigkeitsvisionen gesetzt. Deshalb die verschiedenen Wege nach der Wende. Die Studenten lauschen andächtig, als ob sie davon wirklich das erste Mal hören. Sie lassen sich auch ohne Protest mit Namen verwirren, von denen sie einige kaum kennen dürften. Da verweist Günter Nooke auf Armin Mitter, Erhart Neubert, Wolfgang Templin und schimpft über Rolf Reißig, Rolf Kutzmutz und Horst Gramlich. Dann zitiert er Max Weber, Karl Popper und Hans Jonas, und alle dürfen nachdenken, was die einen mit den anderen zu tun haben. Die Studenten sitzen da, schreiben mit, stellen Fragen und das alles, obwohl es für einen Sonntagmorgen unverschämt früh ist und die jungen Leute eine lange Partynacht hinter sich haben.

Soviel Disziplin ist selbst dem wohlgesonnenen Günter Nooke schon wieder ein bißchen unheimlich. In solchen Momenten sagt er dann: „In der Politik geht es nicht um Freundschaft, sondern um Interessen. Ich heirate nicht eine Partei, ich will etwas bewegen.“ Wenn er dafür dann auch noch Beifallsstürme bekommt, um so besser. Wer wird nicht gern verehrt.

Dabei weiß er, daß sich die Leute eigentlich selber feiern, wenn sie ihm applaudieren. Der Wechsel der Bürgerrechtler zur CDU macht auch sie zum Sieger der Geschichte. Sie, die überhaupt kein bißchen nach Rebellion aussehen, gehören plötzlich zu einer Partei mit Weltveränderern. Dafür sind sie Günter Nooke an diesem Tag dankbar. Aber nicht nur dafür, und das ist genau der Grund, warum er derjenige sein wird, der richtig Karriere machen kann: Dieser Mann hat mehr als seine Vergangenheit zu bieten.

Mindestens genauso gern wie über die Wende redet er über den Umbau öffentlicher Haushalte, über Subventionsgräber und Lohnpolitik. In seiner Behörde kann er das alles aus der Nähe begutachten. Er hat ein paar flotte Sprüche parat, die die Studenten prompt begeistern: „Wirtschaftspolitik ist heutzutage oft Sozialismus mit Westgeld“, „Zuviel Geld sollte nicht über den Staat verteilt werden“, „Mut zur Wahrheit und zum Tabubruch ist die größte Freiheit, die sich ein Politiker erhalten sollte.“

In seiner eigenen Partei kann er das bald ausprobieren. Als Experte wurde er in den CDU-Bundesfachausschuß für Wirtschaft, Finanzen und Energiepolitik beordert. Seine Positionen dürften dort noch nicht allzu populär sein; Günter Nooke könnte also durchaus wieder die Rolle des Querkopfs spielen. Er ist dafür, daß nicht weitere Landschaften für neue Tagebaue zerstört werden. Er hält es für absurd, Castor-Transporte durchzusetzen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sie offenbar nicht akzeptiert. Und er hätte gern etwas mehr Ökoanreize bei der anstehenden Steuerreform. Die Kurzfassung seiner Ansichten schiebt er gleich selbst noch hinterher: „Ich bin wertkonservativ, nicht strukturkonservativ.“ Das hört sich alles sehr nach Verstärkung für schwarz-grüne Strategiezirkel an. Für Günter Nooke ist das auch durchaus ein Thema, „aber nicht koalitionsmäßig, sondern inhaltlich“.

Ob sein unabhängiger Geist in die CDU ausstrahlen kann, wird sich zeigen. Er versichert: „Ich werde auch in Zukunft sagen, was ich denke.“ Nur ganz so stur will er nicht mehr sein, nicht ganz so ultimativ, nicht ganz so elitär. Vor ein paar Jahren hat er noch gedacht, er kann die Welt allein umkrempeln, wenn er nur die Lösung weiß. Nach der totalen Pleite mit dem Bürgerbündnis hat er begriffen, daß man Partner braucht. „Und wenn man sich schon irgendwo einordnen muß, dann bei Profis. Natürlich macht es sich nicht schlecht, wenn man dazu auch noch ein paar Grundüberzeugungen teilt“, erklärt Günter Nooke noch einmal seinen Parteieintritt.

Er sagt selbst, daß er einen weiten Weg bis zur CDU zurückgelegt hat. Erst war er gegen eine schnelle Vereinigung, dann für ein anderes Treuhand-Prinzip, später wollte er Anteilscheine für einstige volkseigene Flächen verschenken, damit die Ostdeutschen ihr Eigentumsdefizit ein bißchen ausgleichen. Seine politischen Nomadenjahre bereut er nicht. „Manche Sachen hätte ich in der CDU nie machen können. Die ganze Stolpe-Debatte wäre da beispielsweise nicht möglich gewesen. In so einer großen Partei muß man ganz andere Rücksichten nehmen, da finden sich immer welche, denen etwas nicht paßt.“

Die alte Zeit hatte noch einen anderen Vorteil. Von seiner Landtagsarbeit brachte Günter Nooke einen schweren BMW als Souvenir mit. Der gehörte zur Konkursmasse der Fraktion, der war zum Schluß ziemlich preiswert. Erzählt er fast entschuldigend. Die Bündnis-Truppe hatte sich für die Imagemarke entschieden, weil es von anderen Autoherstellern nur unmögliche Angebote gab. „Es wäre nicht schlecht, wenn Sie das aufschreiben“, findet Günter Nooke, „die Zusammenhänge sind wichtig.“

Mit seinem Auto geht es ihm wie mit seinem Parteieintritt. Irgendwie rechnet er jederzeit damit, dafür attackiert zu werden, sobald er sich außerhalb der eigenen Reihen bewegt. Diese fehlende Kaltschnäuzigkeit macht ihn irgendwie sympathisch, trotz CDU- Ankunft und Nobelkarosse. Solange er das Bild „Bürgerrechtler im Riesen-BMW“ nicht als größte Selbstverständlichkeit der Welt verkauft, bleibt das Ende seiner Geschichte offen. In der Symbolik stecken zwei Möglichkeiten. Da hat jemand seinen Frieden gemacht. Oder auch: Da hat jemand vielleicht wirklich keine Scheu, Tabus zu brechen.

Eine dritte Lesart läuft außerhalb der Wertung. Als ein paar RCDS-Studenten Günter Nooke nach dem Vortrag in seinem Auto verschwinden sehen, sind sie noch mal ganz angetan: „Der Mann hat ja auch noch Stil.“