: Wettstreit der Wahrscheinlichkeiten
Die Brandgutachten im Prozeß gegen Safwan Eid haben keine Beweiskraft ■ Von Marco Carini
Beide Seiten haben ihren Auftritt gehabt. Und beide Seiten haben die gleichen Begriffe in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt. „Wahrscheinlichkeit“und „Plausibilität“, heißen die zentralen Kategorien, mit denen Ernst Achilles, Rainer Könneke, Holger Herdejürgen und Peter van Bebber – alle vier zu Brandgutachtern im Lübecker Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid bestellt – ihr jeweiliges Brandszenario verteidigen.
Achilles und Könneke vermuten gemeinsam mit der Verteidigung den Brandherd im hölzernen Vorbau des Flüchtlingsheimes an der Lübecker Hafenstraße, Herdejürgen, van Bebber und die Staatsanwaltschaft im ersten Stock des Hauses. Einig sind sich alle Experten nur in einem Punkt: Mit absoluter Sicherheit läßt sich über die Ausbreitung der Flammen in der Anfangsphase gar nichts sagen.
Die Anhörung der Brand-Sachverständigen, die am Mittwoch mit dem Vortrag des BKA-Brandexperten van Bebber zum vierten Mal einen Verhandlungstag füllte, wirkt bei oberflächlicher Betrachtung wie ein Nullsummenspiel. Doch gerade weil es für beide Brand--Szenarien gute Gründe gibt und gerade weil beide Theorien auch erhebliche Erklärungsdefizite aufweisen, kann die Verteidigung den Gutachter-Streit als Punktsieg abbuchen.
Nur wenn es der Staatsanwaltschaft gelungen wäre, zweifelsfrei nachzuweisen, daß das Feuer im ersten Stock des Hauses ausgebrochen sein muß, ließe sich die Anklage halten: Die These, daß nur HausbewohnerInnen – und unter ihnen bevorzugt der Angeklagte Eid – das eigene Heim angezündet haben können. Die Verteidigung hingegen muß nur Zweifel an der Anklage säen: Das ist während des bisherigen Gutachter-Schlagabtauschs, der auch nach Ostern andauern wird, gelungen.
So mußte sich van Bebber ges-tern mehrfach auf kriminologische Schlußfolgerungen und die Interpretationen von ZeugInnen-Aussagen zurückziehen, um seiner These vom Brandausbruch im Obergeschoß Nachdruck zu verleihen. Das aber ist nicht die Aufgabe eines Brandsachverständigen. Auch daß „das Zentrum des Brandes“überhaupt im ersten Stock war, ist für den Bundeskrimininalen nach eigenem Bekunden nur „naheliegend“– beweisen kann und will van Bebber nichts.
Mit den Gutachter-Anhörungen ist das Pflichtprogramm des Lübecker Brandprozesses abgearbeitet. Noch im April könnte das Verfahren abgeschlossen werden. Die Verteidigerinnen haben längst signalisiert, daß sie auf die Befragung der Grevesmühlener Jugendlichen, die in der Nähe des Brandortes gesichtet worden waren und kurz darauf frische Sengspuren an den Haaren aufwiesen, verzichten werden.
Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, daß einer der Grevesmühlener, der Skinhead Maik W., Ende Dezember gegenüber einem Verkäufer in Güstrow damit geprahlt hatte, „bei dem Brandanschlag in Lübeck dabeigewesen“zu sein. Die Lübecker Staatsanwaltschaft aber stellte am 26. Februar die Ermittlungen über diesen Vorfall wegen „mangelnden Tatverdachtes“ein, ohne zuvor den Zeugen oder W. selbst zu vernehmen. Trotz dieser neuen Ermittlungsschlamperei wollen Safwan Eids Verteidigerinnen ihrem Mandanten aber nicht noch weitere Prozeßstrapazen zumuten, die mit der Ladung der Grevesmühlener verbunden wären.
Das Ankläger-Duo Michael Böckenhauer und Axel Bieler aber hat – wohlwissend, daß es bislang mit fast leeren Händen darsteht – bereits neue Beweisanträge gestellt, die das Verfahren bis in den Sommer hinein ausdehnen könnten. So sollen polizeiliche Vernehmungsbeamte bestätigen, daß verschiedene Ex-BewohnerInnen des abgebrannten Flüchtlingsheimes im Polizeiverhör nicht exakt dasselbe erzählt haben wie vor Gericht. Doch auch diese Zeugen sind grundsätzlich nicht geeignet, zu beweisen, daß nur Safwan Eid das Feuer gelegt haben kann.
Bleibt abzuwarten, ob Richter Rolf Wilke ein Einsehen hat, und die Beweisanträge, die der Wahrheitsfindung kaum dienen können, ablehnt. Tut er es nicht, dürfte ein zunehmend sinnloser werdendes Verfahren noch lange Beschäftigungstherapie für alle Prozeßbeteiligten und die versammelte Journallie bleiben.
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