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Wühltisch„Erst lesen – dann einschalten!“

■ Notizen zum Wandel im Anleitungs- und Gebrauchsanweisungswesen

Was der Schrift als Ursprungsmythos angedichtet wurde – Speicher zu sein und Abbild der Welt –, hat die Gebrauchsanweisung immer mit Inbrunst sein wollen. „Die Feuchtigkeit schadet der Puff Unterlage“, kann es da schon einmal heißen. „Wenn das Wetter kalt ist, wird die Puff Unterlage sich langsam puffen. Entrollen der Puff Unterlage und liegen auf ihr, dann wird sie von der Wärme Inflationen bekommen.“ Mitunter ist schwer zu entscheiden, ob es sich um nützliche Handreichungen zum Gerät oder um Sprachexperimentelles handelt.

Die Geschichte der Gebrauchsanweisung aber zeugt – von den Anwenderinformationen für altägyptische Amulettträger bis in die Entwicklungsbüros für Luftmatratzen – vom unermüdlichen Scheitern schreibender Ingenieure und ihrer Übersetzer. Clemens Schwender, der dazu im Berliner Postmuseum eine Ausstellung gemacht hat, spricht trotzdem gern etwas populistisch von der Gebrauchsanweisung als „Nahtstelle“ zwischen Mensch und Maschine. Das ist fürwahr eine grausame Metapher. Ihren Sinn findet sie in der Aussicht auf den Automaten als Prothese: Fließband, Audiovision und Schreibmaschine sind die Krücken für unsere technisch unausgereiften Organe. Das wurde 1964 zwischen Medientheorie und Paläontologie so ausgehandelt.

Wenig aber spricht dafür, daß die Schrift jemals Seemannsgarn für dieses Projekt „Nahtstelle“ hätte abgeben können. Im Gegenteil. Daß Risiken und Nebenwirkungen der Verpackung zu entnehmen sind, ist buchstäblich zu verstehen. Davon berichtete kürzlich die Zeitschrift Amica. Ein deutscher Chemiekonzern hatte sein conterganhaltiges Produkt „Thalidomid“ auf seiner Schachtel zeitweilig mit dem Bild eines durchkreuzten schwangeren Bauches gekennzeichnet. Es kam daraufhin in Brasilien zu neuen Contergan-Opfern, weil man die Tabletten für ein Abtreibungsmittel hielt.

Clemens Schwender aber ist Optimist. Für Grundig begutachtet er Gebrauchsanweisungen und hat mittlerweile objektive Kriterien zu ihrer Qualitätsprüfung entwickelt. Utopischer Orientierungspunkt ist die Deutsche Industrie-Norm (DIN) mit ihrer Bestimmung 8418: „Form und Ausführlichkeit sollen auf die Eigenart des Erzeugnisses und die voraussetzbare Sachkunde des Verwenders abgestimmt sein.“ Ein breites Arbeitsfeld für den Kommunikationswissenschaftler tut sich da auf.

Zielgruppengerechtigkeit, weiß der aufgeklärte technische Redakteur, ist die Ultima ratio der Gebrauchsanweisung. Vilém Flusser hat das auf den Punkt gebracht. Die „voraussetzbare Sachkunde des Verwenders“ zielt nicht auf Vermittlung, die Geschichte der Schrift kristallisiert sich in der „Vorschrift“: „Man hat schon immer an Menschen geschrieben, als wären die Menschen Apparate.“ Aus den chammurabischen Tafeln wurden Gesetze, aus den Gesetzen Gebrauchsanweisungen. Die Programmierung ihres Adressaten ist Movens der Kulturtechnik Schrift. Anständige Anarchisten haben das immer gewußt. Watzlawicks „Anleitung zum Unglücklichsein“ und Guillon/ Bonniecs „Gebrauchsanweisung zum Selbstmord“ zielen direkt auf Körper und Seele ihrer Adressaten.

Zielgruppengerechtigkeit also hat sich seit den Achtzigern auch im Anleitungswesen durchgesetzt. Ein anderes Beispiel sind die Bremsanleitungen von Mercedes-Benz. Wo einst ausführliche Wartungs- und Anwenderinformationen instrumentelles Wissen abforderten, heißt es heute prägnant: „Zu schnelles Fahren erhöht das Unfallrisiko.“

Das ist Gebrauchsanweisung im Sinne moderner Handlungssoziologie. Möglich wurde das nur, weil dem technischen Redakteur heute ein anonymer Adressat die Tasten schlägt. Der menschenfreundliche Hinweis von Mercedes nämlich geht auf ein Gesetz von 1968 zurück: auf die Übertragung der Produkthaftung vom Konsumenten auf den Hersteller, der dafür zu sorgen hat, daß das Unfallrisiko möglichst gering gehalten wird. Seitdem geht die Gebrauchsanweisung nicht mehr zu Händen des Anwenders, sondern des Versicherers. Die „technische Dokumentation“ gehört heute in die juristischen Abteilungen der Unternehmen. Sie ist ins Reich der Vorschriften zurückgekehrt. Fritz von Klinggräff

Die Ausstellung „Zur Geschichte der Gebrauchsanweisung“ im Berliner Museum für Post und Kommunikation ist noch bis zum 25. Mai zu sehen

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