Freispruch für Mörder?

■ Ein neues Buch erklärt dem Laien die Rechtsfälle aus der "Lindenstraße"

Die ersten drei Seiten nennen sich „Abkürzungsverzeichnis“ und erschlagen uns mit Buchstabenaufläufen wie „BGHSt“, was „Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (amtliche Sammlung)“ bedeutet und zumindest mir völlig neu war. Nicht neu ist mir allerdings, daß die „Arschbacke“ (Zitat: Amélie von der Marwitz) Olli Klatt und das „Herzchen“ Lisa Hoffmeister am 17. August 1995 in Folge 507 der „Lindenstraße“ den Expriester Matthias Steinbrück hingemeuchelt haben.

Mit einer Bratpfanne hat „Herzchen“ ihn erschlagen, weil ihr Arschbackenfreund endlich mal eine Abreibung von Steinbrück bekam. So was ist Mord, sage ich. So was fällt in eine Gesetzeslücke, sagt der Jurist Florian Kann und kommt in seinem gerade erschienenen Werk „Der Fall Lindenstraße“ zu dem Schluß: „Olli und Lisa sind unschuldig.“

Mir bleibt die Luft weg! Seit Monaten beschäftigt dieser Fall die Fangemeinde: Wird die Wahrheit je ans Licht kommen? Wird Lisa gestehen, daß Steinbrück nicht, wie alle glauben, Selbstmord auf den Bahngleisen verübt hat, sondern von ihr und Olli zur Tatverschleierung dorthin transportiert und vom Zug zerrissen wurde? Kommt der vorbestrafte Olli deswegen doch noch mal für ewig und drei Folgen hinter Gitter? Nix.

Florian Kann hat ganze Arbeit geleistet: Es ist egal (EGAL!!!), ob die Sache rauskommt oder nicht. Lisa war zum Zeitpunkt der Tat „schuldunfähig“, weil erst 13. Wer unter 14 ist, darf nämlich so viele Leute mit Küchengeräten dahinmetzeln, wie er lustig ist. So sieht's aus. Und Arschbacke Olli? Irgendwie müßte der doch... „Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung oder Totschlag“ (§§223, 223a StGB und §212 StGB)? Herr Kann winkt ab: Lisa wurde nicht angestiftet, sondern betrieb, rechtlich gesehen, „Nothilfe“ (§32 StGB). Aber Olli hätte doch einen Arzt rufen müssen! Das war „Unterlassene Hilfeleistung“ (§323c StGB)! Wieder nix. So was gilt nur bei Unglücksfällen. Und ein Unglücksfall liegt dann nicht vor, wenn der Verletzte „bereits tot ist“ (vgl. BGHSt 1, S. 269). Und daß Steinbrück nach Lisas Gong noch schnaufte, wird ja wohl keiner, der's gesehen hat, behaupten wollen.

Und jetzt? Wir wollen Olli hinter Gittern sehen! Also letzter Versuch: „Störung der Totenruhe“ (§168 StGB). Schließlich wurde ein toter Expriester durch halb München gezerrt, um ihn von einem Zug überrollen zu lassen! Aber dafür, so Kann, müßte Olli dem Toten „Schimpf angetan“ haben. Und jemanden zum Zwecke der Suizidvortäuschung auf Bahnschienen legen, ist leider kein „Schimpf“ (vgl. RGSt 39, S. 157 und RGSt 42, S. 147). Allenfalls könnte man Olli vielleicht wegen Verkehrsbehinderung (Schienenblockade) zur Rechenschaft ziehen. Dazu sagt Herr Kann zwar nichts, aber sicher fiele ihm auch dagegen noch was ein.

Der Mann war nicht faul. Sein Buch ist eine Fundgrube für Fans: Mary Dankors „Asylmißbrauch“; Momo Sperlings Mordversuch an seinem Vater; der Tod von Dabelstein, der von Anna Ziegler-Beimer die Treppe heruntergestoßen wurde; Zorros Totalverweigerung beim Bund; ja selbst die Nazi-Vergangenheit von Amélie von der Marwitz werden juristisch beleuchtet. Und als Schmankerl: Acht Seiten sind der Beleidigungsklage gegen die Schauspielerin Stefanie Mühle gewidmet, die als Chris Barnsteg weiland den Satz sagte: „Gauweiler und Co., das sind doch alles Faschisten!“ Sie hat gewonnen. Die „Lindenstraße“ ist eben Kunst. Und Kunst darf das (vgl. OLG Köln NJW 1993, S. 1486). Frank M. Ziegler

Florian Kann: „Der Fall Lindenstraße“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997, 16.80 DM