: Solange die Richtung stimmt
■ Ist "Michael Collins" ein irischer Propagandafilm? Ach nöööö! Gespräch mit dem Dubliner Schauspieler und Ex-IRA-Kämpfer Jer O'Leary, der im Film "Michael Collins" den IRA-Mann Thomas Clarke spielt
„Michael Collins“, ein Film von Neil Jordan, ist das umstrittene Porträt eines irischen Freiheitskämpfers, das ab heute auch in deutschen Kinos zu sehen ist. (Besprechung siehe taz vom 21.11.)
taz: Warum soll sich das deutsche Publikum „Michael Collins“ ansehen, einen Film, in dem es um den irischen Unabhängigkeitskampf 1916 bis 1922 geht?
Jer O'Leary: Oft ruiniert Hollywood solche Themen durch übergroße Sentimentalität oder durch einen Aktionismus, der auf die Altersgruppe von 15 bis 25 zugeschnitten ist. Auch bei „Michael Collins“ gibt es viel Action, aber sie steht im Kontext der Geschichte. Der Film gibt einen guten Einblick in die Ereignisse von damals. Es ist das erste Mal, daß sich ein Tonfilm mit diesem Thema beschäftigt. Bisher gab es lediglich den Stummfilm „Irish Destiny“ von 1926, und natürlich hat auch John Ford den Unabhängigkeitskrieg in mehreren seiner Filme angeschnitten.
Dem Film wurde von verschiedenen Kritikern vorgeworfen, er habe sich von der historischen Vorlage entfernt und manche Ereignisse im Sinne der Dramatik zurechtgebogen.
Na und? Es ist ja kein Geschichtslehrfilm, sondern Neil Jordan mußte sechs stürmische Jahre in zwei Stunden unterbringen – und dann sollte das Ganze auch noch unterhaltsam sein. Kein Spielfilm, der ein historisches Ereignis behandelt, hält sich haargenau an die Geschichtsbücher. Das ist auch okay, solange die grundlegende Richtung stimmt. Die Kritik an „Michael Collins“ kam vor allem von britischer Seite, weil die Briten darin nicht gut wegkommen. Gerade in diesem Punkt hat sich der Film aber überhaupt nicht von der historischen Vorlage entfernt. So gilt die Kritik auch nicht bestimmten Einzelheiten im Film, sondern der Tatsache, daß er überhaupt gedreht wurde.
Und an der Anschuldigung, „Michael Collins“ sei ein Propagandafilm für die IRA, ist wahrscheinlich absolut nichts dran, wie? Sie sind ja nun Experte: Sie spielen nicht nur in dem Film mit, sondern haben in den siebziger Jahren auch ein paar Jahre wegen Banküberfällen für die IRA hinter Gittern gesessen.
Es ist überhaupt kein IRA-Propagandafilm (lacht). Auch diese Kritik kommt von interessierten Kreisen! In dem Film geht es um einen historischen Zeitraum, er zieht keine Parallele zu heute. Selbst die beiden gegnerischen Seiten im damaligen Bürgerkrieg, der auf den Unabhängigkeitskrieg folgte, räumen ein, daß der Film sehr fair mit den Fakten umgeht.
Aber was ist mit den Frauen? Die kommen entweder gar nicht vor oder als Deko, wie Julia Roberts. Wo sind die Suffragetten, wo die Gräfin Markievicz, die bewaffnet gekämpft hat?
Sie war die Ausnahme. Frauen haben damals vor allem nachrichtendienstliche Aufgaben übernommen, sie haben als Kuriere gearbeitet. Das war eine wichtige Aufgabe, denn die britischen Soldaten durchsuchten zwar Frauen aus der Arbeiterklasse, aber bei Frauen aus der mittleren und oberen Schicht schreckten sie davor zurück. Und viele dieser Frauen unterstützten die IRA. Die haben keineswegs nur Butterbrote geschmiert und Tee gekocht, und Neil Jordan stellt sie auch nicht so dar. Julia Roberts hält in dem Film sogar eine Waffe in der Hand, was man von der echten Kitty Kiernan wohl kaum sagen konnte.
Welche anderen Ereignisse der irischen Geschichte gehörten Ihrer Meinung nach verfilmt?
Neil Jordan sagte, er würde gerne die Geschichte von Roger Casement drehen. Das ist wirklich ein interessantes Thema: Casement hatte in Deutschland eine ganze Schiffsladung von Waffen für den Osteraufstand von 1916 beschafft, doch die Sache ging schief. Casement, der von der britischen Regierung für seinen antikolonialen Einsatz in Belgisch-Kongo und in Südamerika geadelt worden war, wurde für denselben Einsatz in Irland hingerichtet.
Ein anderes Thema, an dem zur Zeit Jordans Mitarbeiter, der Schriftsteller Ronan Sheehan, forscht, ist das Schicksal der irischen Sklaven nach Cromwells Raubzügen Mitte des 17. Jahrhunderts. Zehntausende von Kindern zwischen 12 und 15 wurden damals in die Karibik verschleppt, unterwegs nahmen die Schiffe in Nordafrika schwarze Sklaven auf. Noch heute wimmelt es in der Karibik von schwarzen oder braunen O'Reillys, Murphys und O'Learys. Noch 1904 sprachen die schwarzen Einwohner von Monserrat Gälisch! In diesem Jahr wird auf St. Kitts ein Denkmal für die irischen Sklaven errichtet.
Sie haben in einer ganzen Reihe von großen Filmen mitgespielt, die Liste der Oscar-Preisträger, mit denen Sie gedreht haben, ist lang. Liam Neeson hat sich in einem Fernsehinterview geradezu begeistert über Ihre Darstellung des Thomas Clarke geäußert. Wie sind die großen Stars bei den Dreharbeiten?
Es war phantastisch, mit Neeson, Roberts und Quinn zu arbeiten, es sind sehr angenehme Zeitgenossen. Überhaupt gibt es in diesem Geschäft viel weniger eingebildete Affen, als man denkt. Ich habe bisher in jedem Film von Jim Sheridan und in drei Werken von Neil Jordan mitgespielt, und natürlich trifft man dabei auch mal einen Bastard. Aber ich nenne lieber keinen Namen, weil es in beiden Fällen Iren waren und ich sie vielleicht noch mal wiedertreffe.
Ihr jüngster Auftritt ist der Biertrinker in dem Werbespot für die irische Lotterie, wo Sie in Ruhe an der Theke sitzen und sich Ihrem Guinness widmen, während Ihre beiden Kumpane den großen Preis im Lotto gewinnen. Wie sind Ihre weiteren Pläne?
Der Lotto-Werbespot wird wohl nicht mehr lange laufen. Die Lotteriegesellschaft hat nämlich durch eine Umfrage herausgefunden, daß 55 Prozent der Zuschauer glauben, es handle sich um eine Guinness-Reklame. Außerdem identifizieren sich die meisten Leute nicht mit den beiden Lottogewinnern, sondern mit mir, der viel mehr an seinem Glas Guinness als am Lotto interessiert ist. Mein nächstes Projekt: Am 1. April haben die Dreharbeiten zu Jim Sheridans neuem Film „The Boxer“ angefangen, bei dem ich mitspiele. Es geht dabei um einen nordirischen Boxweltmeister, der in den USA von den Promotern übers Ohr gehauen wird. Außerdem ist es eine nordirische Liebesgeschichte über die religiösen Trennlinien hinweg. Manche behaupten, der Film basiere auf wahren Begebenheiten, aber das darf ich nicht bestätigen, weil ich sonst von den betreffenden Leuten verklagt werde. Interview: Ralf Sotscheck, Dublin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen