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Ungerechtigkeit ist notwendig

Quoten? Eine schreckliche Erziehung zum Elend! Politik, die sich auf unterdrückte weibliche Subjekte bezieht, fördert weibliche Schwäche  ■ Von Alessandra Bocchetti

Die traditionelle Politik der Parteifrauen, die ich die Politik für Frauen nenne, geht immer von dem aus, was die Frauen nicht haben, von dem, was die Frauen nicht sind. Es ist eine Politik, die immer fordert. Diese Politik bezieht sich immer auf ein unterdrücktes weibliches Subjekt, das der Hilfe bedarf, der Gerechtigkeit, nicht aber der Stärke. Eine Politik, die von einem fehlenden Subjekt ausgeht, ist ohne Zweifel eine falsche Politik. Und sie ist eine absolut wirkungslose Politik.

Diese Politik wird in den Parteien nicht zufällig den Frauen überlassen, und für alle scheint dies natürlich und richtig. Niemand hat sie den Frauen je streitig gemacht. Den Frauen wird leicht zugestanden, sich um das Elend von ihresgleichen zu kümmern. Hier wirkt eine perverse Pädagogik, eine schreckliche Erziehung zum Elend, die jede Frau kennt, die, von niemand geplant, gleichsam zufällig entsteht.

Die Politik für die Frauen bedroht niemanden außer die Frauen selbst. Alles, was in dieser Richtung unternommen wird, bestätigt die Schwäche der Frauen, auch wenn die erklärte Absicht gegenteilig ist.

Die Frauen, die diese Politik machen, verstehen sich selber als Vermittlerinnen zwischen dem Staat, den Institutionen, den Männern und den bedürftigen Frauen. Diese Frauen bewegen sich in der Sicherheit, daß es ihre Aufgabe sei, das weibliche Elend aufzuzeigen, und zwar möglichst so, daß der Staat, die Partei, die Männer... Abhilfe schaffen. Die Frauen werden auf diese Weise als Objekte der Gerechtigkeit beziehungsweise Ungerechtigkeit der anderen gesehen. Aber die Gerechtigkeit, bezogen auf ein Lebewesen als Objekt, ist immer abstrakt. Es gibt keine Gerechtigkeit, es sei denn, sie geht von Subjekten aus.

Man kann Gerechtigkeit nicht empfangen, empfangene Gerechtigkeit verwandelt sich immer in etwas anderes, in Einschränkung, Ermahnung, Kontrolle, Behinderung oder sogar in Kränkung, Bedrohung... Gerechtigkeit kann nur geschaffen werden und auch nur in dem Sinn, daß es für denjenigen Menschen gerecht wird, den es betrifft.

Wir können die wesentlichen Züge der Politik für Frauen auch in einigen feministischen Gruppen verfolgen. Auch in mir taucht sie ab und zu als Versuchung auf. Warum?

Ich glaube, wenn man verletzt ist im „Frau-sein“, bewirkt dies ein starkes inneres Leiden, ein großes Unbehagen, das uns mit Leichtigkeit zu falschem Denken führen kann, nämlich zu glauben, uns stehe Gerechtigkeit zu. Folglich warten wir auf sie. Und das führt dazu, daß wir uns selber als Objekte der Gerechtigkeit begreifen. So bildet sich in unserem Kopf eine falsche Vorstellung von Gerechtigkeit: eine Gerechtigkeit ohne Stärke. Und dieser falschen Vorstellung folgt eine andere ebenso falsche: daß die Frage der Gerechtigkeit vor der Frage nach der eigenen Stärke komme. Und daß unsere Stärke eine Folge der Gerechtigkeit sei, die die anderen für uns herstellen müssen, der Staat, die Institutionen, die Männer.

Den Frauen, die immer für andere Frauen tätig sind in jenem Sinn, daß sie Gerechtigkeit fordern, möchte ich zurufen: „Schafft statt dessen Ungerechtigkeit für die Frauen!“ Das würde uns mehr nützen (schon deshalb, weil es erniedrigend ist, dazustehen und immer Gerechtigkeit zu fordern). Mehr als Gerechtigkeit brauchen wir Ungerechtigkeit. Ist das ein Paradox? Ich bevorzuge eine Frau, ich entschädige sie nicht, ich tröste sie nicht, ich stelle sie nicht gleich, ich bevorzuge sie einfach: Auf diese Weise wird sie sich verpflichtet fühlen, meine Sicht von ihr zu bestätigen, und sie wird ihr Bestes geben.

Wenn aber die Dinge so bleiben, wie sie sind, wird alles, was in bezug auf weibliches Elend geschieht, gerecht erscheinen, während alles, was in bezug auf weibliche Stärke geschieht, sich als ungerecht erweisen wird. Gerecht ist beispielsweise, wenn die Frauen sich in Bewegung setzen, ausgehend von dem, was sie nicht haben, und ungerecht, wenn sie von dem ausgehen, was sie haben. Es ist gerecht, das Elend zu bekämpfen, während weibliche Ambitionen jeglicher Art ungerecht sind.

Wenn sich weiblicher Ehrgeiz äußert, ist das immer eine Ungerechtigkeit, etwas nicht Gerechtes, etwas Ungehöriges. Das allgemeine Empfinden ist immer gegen den Ehrgeiz einer Frau. Auch die Politik für Frauen stellt sich gegen weibliche Ambitionen, treibt sie aus und läßt sie verarmen, indem sie zu beweisen versucht, daß sie gerecht seien. Gemäß dieser Politik geht eine Frau nicht aus Lust am Politikmachen ins Parlament, sondern um die Repräsentanz der beiden Geschlechter auszugleichen. Die letzte Blüte: der Bonus für die Partei, die eine Frau ins Parlament bringt. Gilt der Bonus als Prämie oder als Schadensausgleich, wie für Länder, die mit Naturkatastrophen geschlagen sind? Wie auch immer, auf jeden Fall wird hier Mord am weiblichen Ehrgeiz begangen; das Essen ist serviert.

Was gewöhnlich soziale Gerechtigkeit genannt wird, basiert so sehr auf dem Zustand der Ungerechtigkeit, in dem sich die Frauen befinden, daß ein Zustand der Gerechtigkeit für die Frauen nicht anders erscheinen und erlebt werden könnte denn als Ungerechtigkeit.

Gegen den Zustand der Ungerechtigkeit, in dem sich die Frauen befinden, hilft keine Forderung nach Gerechtigkeit, sondern nur, es gerecht zu machen. Wir müssen uns die Mühe machen, erfinderisch zu sein, und dabei folgenden klaren Gedanken im Kopf haben: Die Politik, die irgendein bedeutendes Ergebnis bringt, eine reale Veränderung, ist nicht etwa eine Politik, die Frauen favorisiert, sondern eine, die Beziehungen unter Frauen favorisiert, Beziehungen, die nicht möglichst ideal sind, sondern möglichst konkret, nicht Beziehungen, die das Schlechte reparieren, sondern solche, die die Kraft haben, Erfahrungen Sinn zu verleihen und Begehren zu verwirklichen.

Zum Beispiel denke ich, ein Haus für geschlagene Frauen zu eröffnen, ist nur eine gute Sache. Dagegen halte ich es für gerecht, für eine kostenlose Spezialisierung für Medizinstudentinnen in Geburtshilfe und Gynäkologie zu kämpfen. Das ist offensichtlich eine ungerechte Forderung – „Warum nur die Frauen und die Männer nicht?“ –, eine Forderung, die vielleicht nicht verfassungsgemäß ist, aber sie geht in die Richtung, eine Kultur der Beziehungen unter Frauen zu favorisieren, die die Verwissenschaftlichung, Hospitalisierung und Medizinisierung von Schwangerschaft und Geburt täglich und seit Jahrhunderten ausgelöscht hat.

Sicherlich ist es das Schwierigste, gegen das Selbstverständliche, gegen das allgemeine Empfinden anzugehen. Es ist schwierig, sagen mir die Frauen der institutionellen Politik. Ich antworte ihnen: Es genügt, wenn wir das Gebiet kennen, von dem wir bei unserer Vermittlungsarbeit ausgehen. Ich denke oft, daß gerade das Konzept der sozialen Gerechtigkeit, so wie es allgemein verstanden wird, verhindert, es gerecht zu machen.

Dieser von uns gekürzte Beitrag erschien zuerst in der vom Mailänder Frauenbuchladen herausgegebenen Zeitschrift „Via Dogana“

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