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Rock-fundiertes Sandkastenhotel

■ Gilla Cremers Solo „Morrison Hotel“auf Kampnagel: eine musikalische Vorlesung über die 70er

Das Hotel hat keine Mauern, keine Zimmer und kein Personal. Es ist gebaut aus blauschimmerndem Wüstensand, pyramidenförmige Steine glitzern silbrig im Scheinwerferlicht. Auf dieser traumhaft schönen Bühne führte Gilla Cremer durch ihr Solostück Morrison Hotel, das am Mittwoch auf Kampnagel Premiere hatte.

Eine musikalische Zeitreise durch die sechziger und siebziger Jahre war angekündigt. Jim Morrison, der legendäre Doors-Sänger, der so sanft und so haßerfüllt über Liebe und Tod singen konnte, der schüchtern und größenwahnsinnig zugleich war und 1971 in einer Badewanne verstarb, sollte als Prototyp des von Allmachtsphantasien beherrschten Jahrzehnts im Mittelpunkt der Aufführung stehen. Gilla Cremer rezitierte mit hoher Präsenz, Ausstrahlung und stimmlicher Wandlungsfähigkeit sperrige Texte von ihm und seinen Lieblingsautoren wie Jack Kerouac, Carlos Castaneda oder Friedrich Nietzsche.

Aus der Angst geboren, eine Nostalgieshow zu zelebrieren, ist das Stück aber leider zur trockenen Geschichtsvorlesung geraten. Die Musik darf nur untermalen, kein Song der Doors ausgespielt werden. Der sanfte Zwang zur Selbsterfahrung und Politisierung, der die vermeintlich lockeren siebziger Jahre so bedrückend gemacht hat, blitzt bei Gilla Cremer nur bruchstückhaft auf, wenn sie als Psychogruppenleiterin ihr Team „wir müssen, wir müssen jetzt gaaanz weich und entspannt werden“beschwört oder „Ho, Ho, Ho Tschi Minh“skandiert.

Auch ihr Kunstgriff, einen fiktiven großen „kosmischen“Bruder neben den großen Morrison zu stellen, blieb ein eher bemühtes Konstrukt. Was dem Stück von und mit Gilla Cremer überhaupt fehlt, ist eine Prise Leichtigkeit, ein Anflug von Selbstironie; so ernst, so schwer, so zäh wie das Stück in der Regie von Johannes Kaetzler waren die Siebziger nun auch wieder nicht.

In einer großartigen Szene läßt die 42jährige Hamburger Schauspielerin doch einmal den Mythos Morrison aufleben. Mit stockender, leiser Stimme läßt sie den Rocksänger in einem Interview behaupten, seine Eltern seien schon lange tot und wechselt dann souverän zum munteren Stimmchen der Reporterin, die ihm entgegnet, beide seien doch noch quicklebendig. Da spürt das Kampnagel-Publikum einen Hauch von Jim Morrisons morbider Faszination, aber er verfliegt schnell wieder in der spannungsarmen Textlastigkeit des Stückes.

Und das mystische Hotel aus blauem Sand? Es bleibt nur Staffage – ein leeres Versprechen, das sich Gilla Cremer nicht einzulösen getraut hat.

Karin Liebe

Bis 9. April, außer Montag, je 20 Uhr, Kampnagel, k6

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