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Haftgrund beim Freigang

■ Bremer Knackis bauen gemeinsam mit Werder-Fans neue Räume in der Ostkurve

Die Baustelle an der Ostkurve des Weser-Stadions, die Logen für die Sitzfans und die Stehplätze fürs Fußvolk sind fertig, jetzt kommen die Feinheiten in den Katakomben dran. Fleißiges Pinseln und Schrauben, da ruft einer der Maler: „Ey, hast du noch irgendwo Haftgrund?“„Da hinten“, ruft es zurück. Die schlagfertige Antwort wäre gewesen: „Ja, noch anderthalb Jahre.“Denn die jungen Männer, die zur Zeit beim Ausbau der neuen Räume für das Werder-Fanprojekt werkeln, sind alles andere als normale Handwerker. Wenn sie Feierabend haben, fahren sie nicht nach Hause zu Frau und Kind, sie fahren nach Oslebshausen und werden weggeschlossen. Sieben Knackis und die Fans bauen gemeinsam. „Einmalig in der Bundesrepublik“, betonen Thomas Haffke vom Fanprojekt und Clemens Bergmann von der Bremer Straffälligenhilfe, die Väter des Projekts.

Die Idee ist einfach – und trotzdem so oft so schwer durchzuführen. Strafgefangene müssen auf die Freiheit vorbereitet werden, damit sie nicht gleich wieder abrutschen – nur allzu oft bleiben die Türen zu, erzählt Bergmann: „Die meisten soziokulturellen Zentren haben Angst vor den Knackis.“Eine der wenigen umso heller leuchtenden Ausnahmen: das Fanprojekt. Nach einem Fußballspiel der Fans gegen die Knacki-Kickers in der JVA verabredeten die Betreuer das gemeinsame Bauprojekt.

In Kooperation mit der Tischlerei der JVA wird eine mobile Bühne gebaut, eine Filmgruppe dokumentiert gemeinsam mit der Filmwerkstatt des Kulturzentrums Schlachthof die Aktivitäten der Fans in der neuen Ostkurve. Und ein Kunstwerk springt dabei obendrein noch heraus. Wenn die neue Kurve zum Länderspiel Deutschland-Ukraine offiziell eröffnet wird, können sich die Fans an einem neuen „Meeting Point“vor dem Eingang zum neuen Projekt-Domizil treffen. Nicht zu übersehen: Ein zwei Meter großes muskelbepacktes und knüppelwadiges Sportlerbein. Als hätte Uli Borowka Modell gestanden. Ein Kunstwerk der Oslebshauser JVA-Bildhauerwerkstatt.

Voll des Lobes sind die Macher über die Kooperationswilligkeit aller Beteiligten. Von einer großzügigen Regelung des Freigängerstatus für Gefangene bis hin zum Transport von Materialien – „die Knastleitung hat sich richtig reingehängt“, schwärmt Bergmann. „So habe ich das noch nie erlebt.“Und als das Fanprojekt beim Stadionbetreiber, der „Bremer Sport und Freizeit GmbH“anfragte, ob das Riesenbein aufgestellt werden dürfte, „da hat es keine drei Stunden gedauert, bis wir die Zusage hatten“, freut sich Thomas Haffke vom Fanprojekt. „Ich hätte nie gedacht, daß das so locker geht.“Ganz zu schweigen von der wohlwollenden Begleitung durch den SV Werder und die Baufirma Zech. „Es gibt interessierte Kreise in Bremen, die die Reform des Strafvollzugs in Bremen torpedieren wollen“, sagt Clemens Bergmann. „Da sind solche geglückten Projekte um so wichtiger“.

Was da so bundesrepublikanisch einmalig glückt, das wird ein weiteres deutsches Novum schaffen. In Bremen entsteht der erste ordentlich ausgestattete Fan-Treffpunkt Deutschlands – just unterhalb der Stehplatzränge, um die die Fans so hartnäckig gekämpft haben. Die Fans bekommen einen ordentlichen Saal, in dem sie sich vor und nach den Spielen treffen, feiern, Musik hören können. Und Fußball in der Glotze gucken, ist ja klar. Um die Unkosten zu decken, wird der Raum auch vermietet. Und all das war nur möglich, weil die Fans erstens Geld gespendet und zweitens selbst mit Hand angelegt haben. Sägen, schweißen, hämmern, malen – dafür gibt es unter den Fußballanhängern genügend Fachleute, die gerne mal die Werder-Kutte gegen den Blaumann tauschen. Nur die Verlegung der Starkstromleitung haben sie doch lieber den Bauarbeitern von Zech überlassen. Und den Knackis den Bühnenbau. J.G.

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