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Abhörprotokolle im Lübecker Prozeß nicht zulässig

■ Landgericht: U-Haft-Überwachung des Angeklagten Safwan Eid gesetzeswidrig

Berlin (AP/taz) – Die Protokolle von abgehörten Gesprächen in der Besucherzelle des Angeklagten Safwan Eid dürfen nicht in die laufende Verhandlung des Lübecker Brandprozesses eingeführt werden. Diesen Beschluß gab gestern das Landgericht Lübeck bekannt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Februar vorigen Jahres mit richterlicher Genehmigung sechs Gespräche des Angeklagten mit seinen Brüdern und seinem Vater abgehört und den Tonbändern entnommen, daß unter anderem Nachbarn Safwan Eids auf eine zeitliche Tatversion eingeschworen werden sollten, die eine Täterschaft des gebürtigen Libanesen ausschließt.

Der Vorsitzende Richter der Ersten Strafkammer, Rolf Wilcken, erklärte, die Maßnahme als solche beruhe auf einer gesetzeswidrigen Ermittlungstätigkeit. Die Anklagebehörde hatte die Abhöraktion damit begründet, daß sie für die Ermittlungen unerläßlich sei: Eid bestreite die Tat, und es lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß Zeugen beeinflußt werden sollten.

Der hierbei zugrunde gelegte Paragraph 100 c der Strafprozeßordnung deckt aber nach Ansicht des Gerichts das Abhören nicht. Zweck der Aktion sei nicht Vorbeugung, sondern Strafverfolgung gewesen. Der Bundesgerichtshof habe den Wohnungsbegriff weit ausgelegt. Auch ein Untersuchungshäftling, betonte Wilcken, habe Anspruch auf eine Privatsphäre. Durch den Lauschangriff sei ein unantastbar geschützter Bereich privater Lebensgestaltung betroffen.

Seit September vergangenen Jahres muß sich Eid wegen besonders schwerer Brandstiftung vor Gericht verantworten. Bei dem Brand in dem Flüchtlingshaus in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 waren zehn Menschen ums Leben gekommen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß Eid den Brand nach einem Streit mit Hausbewohnern gelegt habe.

Mit dem richterlichen Beschluß ist der Staatsanwaltschaft nun – wie erwartet – ein zentrales Stück ihrer Indizienkette genommen worden. Neben einigen Zeugenaussagen kann sie ihre Anklage jetzt nur noch auf die Aussage eines Sanitäters stützen, dem der Angeklagte im Rettungsbus gesagt haben soll: „Wir war'n 's.“ JaF

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