: Bissig wie Hundefutter
■ Jenseits der Grenze der Peinlichkeit: „Talk Radio“im Theater in der Basilika
Am Stoff kann es eigentlich nicht liegen, daß dieser Theaterabend so zum Gähnen langweilig war. In seiner Sendung „Night Talk“beschimpft der zynische Radiomoderator Barry Champlain frustrierte Hausfrauen, Judenhasser, Kernkraftgegner und Tierfreunde, die sich bei ihm über Gott und die Welt ausweinen und auskotzen. Obwohl die Anrufer von Barry als Idioten und Weicheier tituliert werden und er sie gnadenlos aus der Leitung schmeißt, sind sie ganz hingerissen von seinen Pöbeleien. Endlich ist mal ihre Meinung gefragt, und endlich sagt ihnen mal jemand deutlich die Meinung.
Zehn Jahre alt ist das von Eric Bogosian geschriebene Stück über pervertierte Kommunikationsformen im Zeitalter der Massenmedien, vor neun Jahren hat es Oliver Stone packend verfilmt. Seit Freitag abend steht Talk Radio unter der Regie von Andreas Kaufmann auf dem Spielplan des Theaters in der Basilika.
Mit Blick aufs Hamburger Publikum versucht Kaufmann das Stück durch Neuigkeiten aus der Sparte „sex and crime“aufzupeppen, was an sich keine schlechte Idee ist. Doch Sensationsmeldungen über den Heidemörder, belgische Kinderschänder und das neulich in der Hamburger S-Bahn vergewaltigte Mädchen dienen nur als Gags und aktuelle Anreißer zum Warmreden für Barrys Schimpftiraden. Daß er eigentlich ein zutiefst einsamer Moralist ist, der seine Verzweiflung über den maroden Zustand der amerikanischen Gesellschaft in Zynismus kleidet, nimmt man Michael Dangl in der Rolle des Barry nicht eine Sekunde ab. So übertrieben er zunächst den Fiesling mimt, so pathetisch und die Grenzen der Peinlichkeit überschreitend gerät sein emotionaler Zusammenbruch zum Schluß.
Mit der Figur des Barry aber steht und fällt das Ganze. Ist er nicht glaubwürdig, verflacht das gesellschaftskritische Potential des Stücks zur lahmen Pose. So erinnert die Aufführung eher an die seichten Bosheiten einer Harald-Schmidt-Show. Talk Radio schockiert etwa soviel wie ein Werbespot über Hundefutter. Alles schon tausendmal gesehen, nur meistens besser gespielt.
Für Linda, die kaffeekochende Bettgespielin von Barry, verbiegt sich Sabine Fecher zur schicken dummen Maus, Guido Zimmermann als Kollege Stu bleibt leichenblaß. Nur Tom Keidel als ausgeflippter Anrufer, der den Drogentod seiner Freundin erfindet und bei Barry im Studio auftaucht, wirkt authentisch. Wenn er seine langen Schlotterbeine kaum stillhalten kann, Fratzen schneidet und totalen Unsinn ins Mikrofon brabbelt, bringt er als echter Freak endlich Tempo und Witz in die sich müde dahinschleppende Aufführung. Aber dann ist es auch schon zu spät.
Karin Liebe
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