■ Kommentar: Die Ehre ist verbrannt!
Wenn es eine Gemeinsamkeit zwischen Kurden und Türken gibt, dann ist es mit Sicherheit die Ehre. Beide Völker sind von diesem Ehrverständnis geprägt, und bei beiden gibt es in bezug auf die Frau fast denselben Kodex. In den dieser Tradition verhafteten Familien ist die Frau die Ehre des Mannes. In der Türkei war sie die Ehre des Vaters, der Brüder und später die des Ehemannes. In der Migration ist sie zur Ehre der Nation avanciert.
Nun ist in Krefeld die Ehre der Nation ermordet worden. Die Polizei sieht es als erwiesen an: Der Vater, ein Kurde mit türkischem Paß, hat seine Wohnung mitsamt Frau und Kindern in Brand gesteckt, weil seine Frau die Scheidung einreichen wollte. Das Gericht wird sich die Beweise ansehen und das Urteil fällen. Auch ich will ihn nicht vorverurteilen. Die türkische Presse, die türkische Regierung sind leise geworden, nachdem der mutmaßliche Täter sich nicht als ein rechtsradikaler Deutscher erwiesen hat. Die Deutschen sind erleichtert: Sie brauchen über Rassismus in Deutschland nicht nachzudenken. Dieser Mord ist kein Politikum mehr. Er wird nun unter der Rubrik „private Katastrophe“ verbucht und ad acta gelegt.
Ich frage mich aber als Frau: Wie viele Übergriffe auf türkische und kurdische Frauen seitens ihrer Männer müssen noch verübt werden, damit auch dies zu einem relevanten, gesellschaftspolitischen Thema wird?
Fatime Demir ist nicht die erste türkische oder kurdische Frau, die von ihrem Mann ermordet wird, weil sie sich scheiden lassen will. Viele Frauen, viele Töchter werden Opfer männlicher Besitzansprüche und Gewalt. Etliche deutsche Frauen können seit Jahren ihre Kinder nicht sehen, weil der Ehemann sie in seine türkische „Heimat“ entführt hat. In Remscheid tötete ein Türke seine deutsche Ex- Ehefrau und ihren neuen Freund. Immer wieder wurde von interessierter Seite versucht, die Gründe des Täters aus seiner Kultur heraus abzuleiten und damit zu relativieren. Übergriffe auf Frauen werden somit zu einem folkloristischen Element, wie Saumagen oder Schuhplattltanz.
Aber: Wenn Gewalttaten mit dem kulturellen Verständnis der Täter begründet werden, heißt es dann letzlich, daß die türkisch-kurdische Kultur Jugendliche bzw. Männer zu potentiellen Gewalttätern gegenüber Frauen macht?
Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Soziologen haben seit Jahrzehnten die türkische, neuerdings auch die kurdische Frau, bis zum letzten Winkel erforscht. Sie stellten immer wieder allesamt fest: Diese Frauen werden unterdrückt. Die Frage sei gestattet: Warum erforschen sie nicht den Unterdrücker, den kurdischen oder türkischen Mann? Warum wird das schwächste Glied der Kette, die Frau, das „Opfer“ untersucht und nicht der „Täter“?
Jedenfalls ist es Zeit, daß türkische und kurdische Männer, die nicht ganz im traditionellen Verständnis von Leben aufgehen und vor allem diejenigen, die sich kritisch nennen, anfangen, ihre Erziehung, ihre Traditionen und Normen öffentlich zu diskutieren. Denn eine Gesellschaft mit ungebrochen patriarchaler Gesinnung wird allein durch die Veränderung der Obrigkeit nicht besser. Arzu Toker
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