: „Stille Diplomatie“ nennt er selbst seine Politik. Nach außen erkennbare Früchte hat sie in den fünf Jahren seiner Amtszeit nicht getragen. Gerade erst hat sich sein „kritischer Dialog“ mit dem Iran als untauglich erwiesen. Klaus Kinkel gestaltet keine Außenpolitik, er verwaltet sie nur – immer in der Hoffnung, gefährliche Klippen umschiffen zu können. Aus Bonn Bettina Gaus
Der Buchhalter der Weltpolitik
Es sind goldene Zeiten für Außenpolitiker. Europa wächst zusammen. Die Nato sucht nach einer neuen Identität. Die Globalisierung fordert die alten Industrienationen heraus. Die Beziehungen zu Moskau, zu Osteuropa, zu den Wirtschaftsmächten Asiens, zur islamischen Welt müssen überdacht und gestaltet werden. Warum bloß breitet sich stets gähnende Langeweile aus, wenn der deutsche Außenminister im Parlament ans Rednerpult tritt?
„Klaus Kinkel ist ein ehrlicher Mann, der Vertrauen verdient.“ Mit diesen Worten ehrte Bundeskanzler Helmut Kohl den FDP-Politiker an dessen 60. Geburtstag kurz vor Weihnachten 1996. So wird kein unabhängiger, brillanter Geist gepriesen. So klopft man Vasallen auf die Schulter.
Rund fünf Jahre ist er jetzt im Amt – aber es gibt keinen politischen Kurs und kein Konzept, das sich mit seinem Namen verbindet. Der Minister schätzt, was er die „stille Diplomatie“ nennt. Nach außen erkennbare Früchte hat sie nicht getragen, und so ist sie nebulös geblieben. Dabei ist die Außenpolitik, die Kinkel vertritt, beileibe nicht unumstritten. Gerade erst wurde der „kritische Dialog“ mit Teheran, für den er sich wie kein anderer eingesetzt hatte, für gescheitert erklärt. Der Versuch, das totalitäre Regime allein durch gutes Zureden von Menschenrechtsverletzungen abzubringen, hat sich als untauglich erwiesen.
Die Person des Außenministers bleibt jedoch seltsam unberührt von aller Kritik an seiner Politik. Ungewohnt lustlos hörte es sich an, als der grüne Fraktionssprecher Joschka Fischer letzte Woche im Bundestag Kinkels Rücktritt forderte. „Sie sind für uns rücktrittsreif“, sagte er, nicht etwa: „Treten Sie zurück!“ Eine gestelzte, umständliche Floskel statt eines klaren Wortes. Warum?
Gewiß nicht deshalb, weil der 60jährige unverletzlich wirkt. Im Gegenteil. Bei kaum einem anderen Politiker scheinen Angriffe so tiefe Gefühle auszulösen wie bei Klaus Kinkel. Muß er sich im Bundestag verteidigen, drücken Körper und Mienenspiel eine ganze Fülle mühsam unterdrückter Emotionen aus: Ärger, Wut, Unverständnis und vor allem das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.
Aber die tiefen Empfindungen gehen ins Leere. Sie finden keinen Widerhall. Es scheint, als trenne ein unsichtbarer Kreis den Politiker von Verbündeten und Gegnern gleichermaßen. Von Klaus Kinkel wird kolportiert, daß er niemanden in seinem politischen Umfeld duzt. Distanz scheint ihm leichter zu fallen als Nähe. Er ist auch kein Mann, der polarisiert. Erbitterte Feinde des Außenministers sind ebenso schwer zu finden wie glühende Anhänger.
Eigenartig glanzlos ist das Erscheinungsbild des Juristen. Dabei weist doch sein Aufstieg so viele Stationen auf, die auf den Glamour des Senkrechtstarters hinzudeuten scheinen. Gerade 34 Jahre war er alt, da machte der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher ihn zu seinem Büroleiter. Später brachte er es im Auswärtigen Amt bis zum Ministerialdirektor. Präsident des Bundesnachrichtendienstes, parlamentarischer Staatssekretär, Justizminister, Außenminister – eine Bilderbuchkarriere, allenfalls getrübt durch ein kurzes, wenig erfolgreiches Intermezzo als Parteivorsitzender der FDP. Warum nur hat der Mann so wenig Fortune, zumal er doch mit der Opposition wirklich Glück hat?
Die SPD hat sich weitgehend aus der Gestaltung der Außenpolitik verabschiedet. Ihre innere Distanz zum Rest der Welt gab sie kürzlich auch noch offiziell zu Protokoll, als sie mit Günter Verheugen den einzigen Fachmann für diesen Bereich im Fraktionsvorstand aus dem Gremium abwählte.
Klaus Kinkel kommt das nicht zugute. Politik machen in Bonn andere, er verwaltet sie bloß. „In seinem Herzen ist er ein Beamter, honorig, ohne Machthunger, gradlinig, ohne Sinn für Machtverhältnisse, nur von dem Ehrgeiz besessen, seine Sache gut zu machen“, war über ihn in der Zeit zu lesen. So einer kommt dem Europapolitiker Helmut Kohl und dem Strategen Volker Rühe, der längst sein Amt als Verteidigungsminister überwiegend außenpolitisch begreift, gerade recht. Die großen Themen laufen am Minister vorbei. Wem fiele schon sein Name als erster ein, wenn von der Haltung der Bundesregierung zum Euro oder der Nato-Osterweiterung die Rede ist?
Die Rivalität um die Führungsrolle in der Außenpolitik kann zu bizarren Szenen führen. Nach der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Albanien hatte die Bundestagsdebatte zum Thema bereits begonnen, als Kinkel und Rühe noch immer um den ersten Platz am Rednerpult wetteiferten. Schön, daß sich die Helden von Tirana endlich geeinigt hätten, merkte der grüne Abgeordnete Gerd Poppe im Plenum bissig an, nachdem der Außenminister siegreich aus dem Machtkampf hervorgegangen war. Der Spott stutzte den FDP-Politiker auf kleinkariertes Mittelmaß zurück. Undenkbar, daß Genscher Ähnliches widerfahren wäre.
Nun haben auch andere Staaten unscheinbare Außenminister und dafür Regierungschefs, die diesen Bereich zur Chefsache gemacht haben. Der hohe Einfluß deutscher Amtsträger in der Vergangenheit lag am Brauch, die Außenpolitik zum Erbhof des kleineren Koalitionspartners zu machen. So läßt sich am Zustand dieses Ministeriums stets auch der Zustand der Koalition ablesen. Kinkels Schwäche spiegelt die Krise seiner eigenen Partei.
Die FDP beruft sich auf liberale Traditionen und wagt es nicht, konservativen Hardlinern Paroli zu bieten. Sie muß ihre kleine wohlhabende Klientel zufriedenstellen und beharrt darauf, sich im hohen Bewußtsein sozialer Verantwortung fürs Gemeinwesen allein von der politischen Vernunft leiten zu lassen. Ihre Vertreter sprechen von Schicksalsfragen der Nation und meinen das eigene politische Überleben.
Wie sie steht auch ihr Außenminister für eine Linie ohne Prinzipien. Vermutlich könnte derzeit überhaupt kein ausländischer Gesprächspartner in Peking erfolgreich auf die Wahrung der Menschenrechte dringen. Das Problem mit Kinkel besteht darin, daß es so schwer fällt, ihm zu glauben, er halte allein schon den Versuch für wirklich wichtig. Seine Politik ist nicht unmoralisch, sondern frei von Moral.
Es sei der Eindruck entstanden, die Bedeutung der Menschenrechte müsse hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen, hat jetzt während der Debatte über die deutsch-iranischen Beziehungen der SPD-Abgeordnete Christoph Zöpel im Bundestag gesagt. „Das ist unerträglich.“
Historisch betrachtet ist das aber die Regel, nicht die Ausnahme. Staaten haben fast immer in der Geschichte ihre eigenen territorialen, ökonomischen und machtpolitischen Interessen als einzige Richtschnur ihrer Außenbeziehungen gelten lassen. Auch heute gibt es in vielen Ländern Politiker, die einen solchen Kurs offensiv vertreten, vor allem in der Dritten Welt. Eine Diskussion über den Stellenwert von Moral in zwischenstaatlichen Beziehungen am Ende dieses Jahrhunderts ist die Auseinandersetzung über eine der wichtigsten globalen Grundsatzfragen nach dem Ende des Kalten Krieges.
Es fänden sich wohl auch in Deutschland viele, die gegen eine Politik nichts einzuwenden hätten, die wirtschaftliche Interessen über die Menschenrechte stellt. Aber es brauchte eine starke eigene Überzeugung, um eine solche Debatte offensiv zu beginnen und den Widerspruch zu ertragen. Kinkel ist kein Mann, der am Widerstand wächst. Sein Hauptanliegen scheint stets zu sein, es allen recht zu machen. Er will nicht riskieren, daß der deutschen Industrie Aufträge verlorengehen, und gleichzeitig als Hüter der Menschenrechte gelten. Er spricht von einer Stärkung auswärtiger Kulturpolitik und meint doch nur ein dichter geknüpftes Netz deutscher Auslandsschulen für die Kinder deutscher Manager. Selbst zur Begründung seines beharrlichen Drängens auf einen ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat fällt ihm kaum mehr ein als der Hinweis, die Bundesrepublik zahle schließlich auch sehr viel, und wer zahle, müsse mitbestimmen dürfen. Außenpolitik aus der Buchhalterperspektive.
Pannen und sogar schwere Fehlleistungen hat es in Kinkels Amtszeit genug gegeben. Skandale gab es nicht. Jemand muß für die Öffentlichkeit erst einmal als Person erkennbar geworden sein, um im Mittelpunkt eines Skandals stehen zu können. Nach fünf Jahren ist noch immer rätselhaft, was der Außenminister eigentlich wirklich will. Vielleicht will er tatsächlich gar nichts so richtig dringend.
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