: Der Mythos „Freie Universität“
Knapp dreißig Jahre ist es her, da erschien im Argument, der Zeitschrift des seminarmarxistischen Übervaters Wolfgang Fritz Haug, ein Aufsatz mit dem merkwürdigen Titel „Erinnerungen an das Problem einer freien Universität“. Sein Autor war der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich, ein unter kritischen Studenten sehr einflußreicher Gelehrter. Heinrich stellte der Freien Universität ein vernichtendes Urteil aus, indem er die Hoffnungen der Gründergeneration des Jahres 1948, zu der er selbst gehört hatte, mit der Lage der Hochschule im Jahre 1967 verglich.
Für Klaus Heinrich war die „FU“ zu einem Unternehmen degeneriert, wo „Zehntausende von Studenten Wissenschaften betreiben, die sie auch nicht im geringsten interessieren, wie diese Wissenschaften wiederum nicht im geringsten an dem interessiert sind, was die sie Betreibenden treibt“. Schuld an diesem Stand der Dinge war der Verlust der utopischen Nüchternheit, die die Studenten des Jahres 1948 motiviert hatte. An dessen Stelle hatten sich richtungslose Sachlichkeit und ein inhaltsloser, „romantischer“ Gründungspathos breitgemacht. Gegen den leerlaufenden, positivistischen Wissenschaftsbetrieb hielt Klaus Heinrich an einem aufklärerischen Begriff von Wissenschaft fest, den er mit der Bestimmung von Demokratie in eins setzte: Beide sollten zum Ziel haben, die Voraussetzungen für ein menschenwürdigeres Leben, für „Glück“ zu erforschen.
Als die Rebellion der Studenten nach der Erschießung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 den Aktionsbereich der Universitäten verließ, zerschnitten die meisten der FU-Gründer von 1948 das Band, das sie doch eigentlich mit den Aktivisten der Revolte hätte verbinden müssen. Denn ursprünglich war mit der Freien Universität mehr beabsichtigt worden als ein normaler, gegen die Gängelung von Professoren und Studenten an der (Ostberliner) Humboldt- Universität gerichteter Forschungs- und Lehrbetrieb. In der Universitätsverfassung wie in der Praxis der frühen Jahre hatten die ursprünglichen Hoffnungen Spuren hinterlassen: Beteiligung der Studenten mit beschließender Stimme in allen Gremien, Verbot studentischer Korporationen, antihierarchische Struktur, Ablehnung nicht nur des Stalinismus, sondern auch des Nazismus.
Das Gros der Gründerväter und -mütter und darüber hinaus auch die meisten der Professoren schlossen sich 1967 der innerstädtischen Feinderklärung gegen die demonstrierenden Studenten an. Sie verweigerten sich einer gemeinschaftlichen, rationalen Untersuchung der Gründe für die Rebellion. Indem sie sich auf die Seite von Ruhe und Ordnung stellten, verspielten sie die Möglichkeit, die Universität im radikalen Geist des Jahres 1948 zu erneuern.
Im Gegensatz zu ihren Lehrern hielten die Studenten des Jahres 1967 am Konnex von Universität und Gesellschaft fest. Die kurzlebige „Kritische Universität“, die sich in den Dienst der Kampagne gegen Axel Springers Erzeugnisse stellte, zeugt ebenso davon wie die vielfachen Versuche, die Bevölkerung West-Berlins über deren „wirkliche“ Interessen aufzuklären, sie zum Kampf zu ermuntern. Dieses Massenexperiment ist bekanntlich gescheitert. Was blieb, war gnadenlose Isolation und Selbstisolation. C.S.
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