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Recht zur Selbstamputation

Berlins Universitäten exekutieren die Sparbeschlüsse, die ihnen das bankrotte Land andient. Bis zum Jahre 2003 fallen 1.098 Professuren weg  ■ Aus Berlin Christian Füller

Eine Universität halbiert sich: Die Freie Universität Berlin steht kurz vor dem Beschluß, die Zahl ihrer Professuren von derzeit 570 bis zum Jahr 2003 auf 330 zurückzustutzen. Die Entwicklungs- und Planungskommission (EPK) der FU hat diesen Vorschlag der radikalen Selbstbeschneidung am Samstag gebilligt. Er soll bereits am heutigen Mittwoch im Akademischen Senat beraten werden.

Die FU war vor wenigen Jahren mit knapp 60.000 Studierenden und 750 Professoren noch die größte deutsche Universität. Um den Aderlaß auszuhalten, wird die Uni ganze Studiengänge streichen, die kleinen Fächer sollen in Regionalschwerpunkten (Osteuropa, Lateinamerika etc.) zusammengefaßt werden. Die großen Fächer wie die Politikwissenschaft oder die Physik müssen Stellen abgeben. „Sonst bleibt eine Sammlung von Einödhöfen, aber keine Universität“, sagte der EPK-Vorsitzende Hans Merkens.

Die FU gehörte in den 60er und 70er Jahren zu den Zentren der Studentenbewegung. Daß sie jetzt ihrer Kastration zustimmt, hängt mit der akuten Finanzkrise des Landes Berlin zusammen.

Die Hauptstadt kann knapp 20 Prozent ihres Haushalts nicht durch eigene Einnahmen decken. Daher werden die öffentlichen Ausgaben radikal zusammengestrichen. Beliebtes Sparopfer sind die Hochschulen: Neben der Freien Universität bluten auch die beiden anderen Unis Berlins.

An der Technischen Universität halbiert die Landesregierung das professorale Lehrpersonal bis 2003 auf 320 Stellen. Selbst die im Osten gelegene Humboldt-Uni, nach der Wende mit viel Geld zu einer Edeluniversität aufgepeppt, muß bis 2003 von ihren 550 Professuren 100 wieder abgeben. Zum Vergleich: Der Brainkill an allen Berliner Hochschulen frißt zusammen 1.098 Professuren – das entspricht jener Zahl an Lehrstühlen, die in der ganzen Bundesrepublik seit Mitte der 70er Jahre neu geschaffen worden waren.

Schwerer noch als der Griff nach den Hochschullehrern aber wiegt der Raubbau an angehenden WissenschaftlerInnen. Weil das Kürzungsprogramm nicht nur drastisch ist (der Wissenschaftsetat Berlins sinkt von 3,4 auf 2 Milliarden Mark), sondern von der Landesregierung innerhalb weniger Jahre durchgezogen wird, fällt als erstes der Nachwuchs weg: Hilfswissenschaftler, Tutoren, Doktoranden. „In fünf Jahren haben wir keinen Assistenten mehr“, prognostiziert der Präsident der Humboldt-Uni, Hans Mayer. Das bedeute den „Tod der Universität“.

Mayer wechselte vor einem halben Jahr von Frankfurts Goethe- Uni zu den Sparkommissaren nach Berlin. Er ist dem bundesrepublikanischen Trend damit nur ein wenig vorausgeeilt. Drehte sich der hochschulpolitische Streit vor wenigen Jahren noch um Mittel für den Hochschulbau oder Bafögfreibeträge, geht es inzwischen in allen Bundesländern ans Eingemachte. Sachsen kürzt seine Uni-Etats. Die sparsamen Schwaben streichen ihre Universitätsbudgets genauso zusammen wie die Niedersachsen und Brandenburger. In Mecklenburg-Vorpommern fallen zwei von drei freiwerdenden Stellen weg. Nur die Bayern investieren noch. Aber nicht aus dem laufenden Etat, sondern indem sie Landesvermögen verkaufen und davon neue Fachhochschulen bauen.

In Deutschland werde „nur in Sonntagsreden die Bedeutung von Qualifikation und Forschung beschworen“, mokierten sich die knapp 300 Hochschulrektoren auf ihrem jüngsten Plenum. Japan und die USA steigerten ihre Bildungs- und Forschungsausgaben beträchtlich – um 50 bzw. 20 Prozent. Deutschland aber investiert immer weniger in seine Köpfe, in seine Jugend. Der Etat des selbsternannten „Zukunftsministers“ Jürgen Rüttgers (CDU) sinkt. 1997 ist der Bundesregierung Bildung und Wissenschaft erneut 2,5 Prozent weniger wert. Der Anteil der „Zukunft“ an den Gesamtausgaben der Bundesregierung schrumpfte gar um 6 Prozent. Die OECD führt die BRD bei den Bildungsausgaben von 18 Industrienationen mittlerweile auf dem kümmerlichen 16. Platz. Zu den finanziellen Problemen kommen die strukturellen. Die Hochschulen seien „besser als ihr Ruf“, lautete Ende Februar die trotzige Bilanz des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Hans-Uwe Erichsen. Die Realität an den Unis deckt diese Aussage mitnichten: Das akademische Gespräch zwischen Lehrenden ud Lernenden wird mehr und mehr durch dröge Paukerei ersetzt. Die Studienordnungen sind übervoll.

Der Problemberg soll nun in einer Großen Universitätsreform abgetragen werden. Gesetzestechnisch kommt diese Umgestaltung revolutionär daher: Mit einer „Experimentierklausel“ sollen möglichst bis Ende des Jahres weite Teile der bisherigen Hochschulgesetze außer Kraft treten. Die Reform läßt nichts unberührt – Studiengänge und -dauer, Machtverteilung in den Unis, Rolle der Fachhochschulen, Verhältnis von Staat und Hochschule.

Was davon angesichts der komplizierten Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Einzeluniversitäten umsetzbar ist, ist zwar offen. Aber über das Kernstück der Reform herrscht Einigkeit. „Zentrale Maßnahme ist die Einführung einer leistungsorientierten Hochschulfinanzierung, verbunden mit dem Übergang zu Hochschulglobalhaushalten“ (Rüttgers). Im Klartext: Die Universitäten sollen künftig als festen Zuschuß nur noch einen Sockelbetrag bekommen. Darauf wird, abhängig von Kennziffern wie Absolventenzahl, Lehrqualität oder Forschungsleistung, ein Bonus bezahlt. Sockelbetrag und Bonus ergeben zusammen den Globalhaushalt. Dessen Verwendung wäre Sache der Hochschulen und ihrer – erst noch zu kreierenden – neuen Personalspezies: den Institutsmanagern. Der Staat, so versprechen im Gegenzug die Wissenschaftsminister von Brunn (NRW) über Rüttgers bis Zehetmair (Bayern), werde sich in die Ressourcenverteilung innerhalb der Universitäten nicht mehr einmischen.

Auch Berlins Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) rühmt sich, den Hochschulen zu mehr Effizienz zu verhelfen. Aber die Haushälter in den Berliner Unis wissen, was sie davon zu halten haben. Wer den Hochschulen bei drastisch sinkenden Budgets mehr finanzielle Autonomie zugestehe, der gebe ihnen nichts weiter als „das Recht zur Selbstamputation“, so ein FU-Planer.

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