: Zurück zur Normalität beim Wehrmachtsstreit
■ Neue Bundestagsdebatte zu Verbrechen der Wehrmacht. SPD-Antrag abgelehnt
Bonn (taz) – Es schien, als hätten während der neuerlichen Bundestagsdebatte über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg alle Parlamentarier nur auf die Rede von Heinrich Graf von Einsiedel (PDS) gewartet. Da strömten nämlich plötzlich Hunderte von Abgeordneten ins vorher gähnend leere Plenum. Für den Ansturm gab es allerdings einen anderen Grund als Interesse an der Sache: Über vier Anträge sollte in namentlicher Abstimmung entschieden werden – und Abgeordneten, die eine namentliche Abstimmung versäumen, werden jeweils 75 Mark von ihren Diäten abgezogen. 300 Mark standen somit auf dem Spiel.
Abgesehen davon war am Donnerstag die Unlust spürbar, sich ein weiteres Mal mit dem Thema Wehrmacht befassen zu müssen. Am 13. März hatte der Bundestag bereits eine ungewöhnliche Debatte über die Rolle der Wehrmacht geführt. Mehrere Abgeordnete hatten damals vor allem mit der Schilderung persönlicher Erfahrungen eine Stimmung erzeugt, in der über Fraktionsgrenzen hinweg Verständnis füreinander erweckt worden war.
Um der besonderen Atmosphäre dieser Aussprache Rechnung zu tragen, einigten sich damals die Fraktionen, sich im Innenausschuß um einen gemeinsamen Antrag zu bemühen. Dieser Versuch war in der vergangenen Woche gescheitert.
Nun mußte also doch über verschiedene Anträge abgestimmt werden. Rupert Scholz (CDU) sah die Schuld dafür, daß keine Einigung zustande gekommen war, bei den Grünen und „verwahrte“ sich „entschieden gegen jede einseitige oder pauschale Verurteilung der Wehrmacht“. So steht das auch im Antrag der Regierungskoalition. Freimut Duve von der SPD meinte dagegen: „Weder gibt es die pauschale Schuldzuweisung, noch gibt es die pauschale Schuldbefreiung.“ Volker Beck von den Grünen erklärte, die Einigung sei gescheitert, weil die Union nicht bereit gewesen sei, die verbrecherische Rolle der Wehrmacht anzuerkennen. Die Wehrmacht sei eine der Säulen des nationalsozialistischen Regimes gewesen.
Erwartungsgemäß stimmte der Bundestag dem Regierungsantrag zu und lehnte die anderen Anträge ab – darunter auch den der SPD. Dabei hatte die nur gefordert, das Parlament möge einer Äußerung von Volker Rühe zustimmen. Der hatte 1995 die Wehrmacht als Organisation bezeichnet, die „in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt“ gewesen sei. Sogar das geht der Regierungsmehrheit zu weit. Bettina Gaus
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