piwik no script img

Kranker Rücken muß weiter buckeln

■ Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts: Wer keinen Beruf gelernt hat und verschlissen ist, bekommt trotzdem keine Erwerbsunfähigkeitsrente. Rentenkassen sparen dadurch Milliarden

Berlin/Kassel (taz/dpa) – Sie haben es auf dem Arbeitsmarkt schon am schwersten. Jetzt sind sie auch noch bei der Frührente benachteiligt: Ungelernte erkrankte Arbeiter, die keinen Job mehr finden, können keine vorzeitige Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten. Das hat der Große Senat, das höchste Gremium des Bundessozialgerichts, jetzt grundsätzlich entschieden. Ausnahmen gelten nur in seltenen Fällen bei besonders schweren Leistungseinschränkungen.

Der gestern veröffentlichte Beschluß betrifft Zehntausende un- oder angelernte Arbeiter, die wegen körperlicher Leiden eingeschränkt erwerbsfähig sind. Hätte der Senat den Anspruch bejaht, wären zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe auf die Rentenversicherungsträger zugekommen.

Im konkreten Fall hatte ein Auslieferungsfahrer, der mit 53 Jahren wegen eines Bandscheibenvorfalls seinen Arbeitsplatz verloren und keine neue Stelle gefunden hatte, auf eine vorzeitige Erwerbsunfähigkeitsrente geklagt. Die wurde ihm aber verwehrt mit dem Argument, er könne sich auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ eine andere Hilfstätigkeit suchen, die er trotz seines Leidens noch ausüben könne. Kritiker sprechen jedoch von einer „Verweisung ins Nichts“. Für die Beschäftigten „am Ende des Arbeitsmarktes“ gebe es im fortgeschrittenen Alter und bei Krankheit keine Stellen mehr. Den teilinvaliden Langzeitarbeitslosen bleibt somit nur das Arbeitslosengeld, dann die Arbeitslosenhilfe und erst mit 60 Jahren die vorzeitige Rente.

Die Ungelernten sind damit benachteiligt gegenüber Berufsunfähigen mit Ausbildung. Die qualifzierten Berufsunfähigen dürfen nämlich darauf bestehen, daß die Arbeitsämter ihnen eine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle zuweisen. Ist das nicht der Fall, können sie aus „arbeitsmarktbedingten Gründen“ früher verrentet werden, erklärte ein Sprecher des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger. Betroffen von dem Urteil sind beispielsweise Ungelernte in der Baubranche. Dort scheidet die Hälfte der Arbeiter wegen Frühinvalidität aus dem Job aus. Die Unterschiede zwischen Qualifizierten und Ungelernten werden allerdings obsolet, wenn das von der Regierungskoalition geplante Rentenreformrecht durchkommt. Danach soll es künftig überhaupt keine arbeitsmarktbedingte Frühverrentung mehr geben, sondern nur noch eine gestaffelte Erwerbsminderungsrente. Wer dann beispielsweise drei bis sechs Stunden täglich einsatzfähig ist, soll nur die halbe Erwerbsminderungsrente erhalten, auch wenn der Betroffene durch diese Einschränkung mit Sicherheit keinen Job mehr findet. Berufsunfähige müßten dann zusätzlich zur Erwerbsminderungsrente Sozialhilfe beantragen. BD

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen