Wenig Fragen, dafür viele Antworten

Eine Anhörung der Bündnisgrünen und der Heinrich-Böll-Stiftung zur Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane offenbarte wenig Sachkenntnis der inländischen Referentinnen, aber um so mehr europäische Überheblichkeit  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Soll jede Form der Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane gesetzlich verboten werden? Oder wird damit das Gesundheitsrisiko für die betroffenen Frauen weiter erhöht, weil sie aus Angst vor Strafe auch dann kein Krankenhaus aufsuchen können, wenn medizinische Komplikationen eintreten? Ist es sinnvoll, in Ländern, wo die radikalste Form der Beschneidung praktiziert wird, sich erst einmal für eine weniger radikale Form einzusetzen? Oder soll gleich die vollständige Abschaffung propagiert werden? Ist es nützlich, Familienplanungsprogramme mit dem Kampf gegen solche Rituale zu verbinden? Oder gefährdet der doppelte Tabubruch den Erfolg beider Anliegen?

Seit Jahren erörtern Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Mitarbeiterinnen von Frauenprojekten und betroffene Frauen in vielen Ländern Afrikas diese Fragen kontrovers. Die Antworten hängen unter anderem von den regionalen Gegebenheiten, von der Form der Beschneidung, vom Bildungsstand der Betroffenen, vom Zustand des staatlichen Gesundheitswesens und von der hierarchischen Organisation ländlicher Gemeinschaften ab. Einig sind sich afrikanische Fachleute allerdings in einem: Traditionen, die auf gesellschaftlichen Tabus, religiösen Überzeugungen und althergebrachten Ritualen beruhen, lassen sich nur sehr behutsam und schrittweise verändern oder gar abschaffen. Während in Afrika also seit langem die Auseinandersetzung differenziert und einfühlsam geführt wird, haben jetzt deutsche Aktivistinnen gezeigt, daß sie offenbar den Holzhammer für das Instrument der Wahl halten. Auf einer öffentlichen Anhörung der Bundestagsfraktion der Grünen und der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema „Genitale Verstümmelung“ hatten die deutschen Teilnehmerinnen vorgestern in Bonn wenig Fragen, dafür viele Antworten.

„Dringender Handlungsbedarf“ bestehe mittlerweile auch in Deutschland, erklärte Ines Laufer von der Organisation Terre des Femmes. Häufig würden in Deutschland lebende Eltern aus Ländern, in denen genitale Verstümmelung praktiziert werde, ihre Töchter in den Schulferien für das Ritual nach Hause „verbringen“. Doch, sie sei richtig verstanden worden, betonte sie auf Nachfrage: In derartigen Fällen plädiere sie für einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts.

Ähnlich sieht das auch die deutsche Rechtsanwältin Regina Kalthegener. Es müsse geprüft werden, wie weit das elterliche Sorgerecht dem Kindeswohl gerecht werde und somit den Zielen des BGB entspreche. Sie verwies auf Beispiele anderer Länder, in denen genitale Verstümmelung ausdrücklich unter Strafe stehe. In Großbritannien sei ein derartiger Eingriff mit bis zu 5 Jahren Haft bedroht, in Frankreich sogar mit bis zu 15 Jahre Gefängnis, wenn Minderjährige die Opfer seien.

Höflich und eindringlich widersprach da die nigerianische Soziologin Rahmat Mohammad: „Es mag Gesetze geben, aber das Problem ist, wie man mit ihnen arbeiten kann.“ Rahmat Mohammad ist in London bei der Organisation „Forward“ engagiert, die sich um Einfluß auf Bevölkerungsgruppen bemüht, bei denen die Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane traditionell verwurzelt ist.

„Es geht um Aufklärung und Beratung, nicht darum, in die Familien zu gehen und denen zu sagen, das ist schlecht, was ihr macht“, betonte die Soziologin. Gearbeitet werde mit Informationsmaterial, das auch in somalischer oder amharischer Sprache verteilt werde. Junge Mädchen könnten bei der Organisation Rat und Hilfe bekommen. „Forward“ bemühe sich, Betroffene miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wenn ihr zu erzwingen versucht, daß die Familien in den Ferien ihre Kinder nicht mit nach Hause nehmen dürfen, dann verletzt ihr auch Menschenrechte.“

Weitgehende Übereinstimmung herrschte auf dem Podium über die Forderung, Mädchen und Frauen Asylrecht zu gewähren, die vor Genitalverstümmelung aus ihren Heimatländern fliehen. In anderen Fragen klafften zwischen deutschen und ausländischen Referentinnen Welten. Die Deutschen schienen die feste Überzeugung zu hegen, das Problem lasse sich leicht in den Griff bekommen, wenn die staatlichen Stellen nur wollten. Da drangen die Referentinnen, die im Ausland hauptberuflich mit dem Thema befaßt sind, nur schwer mit Hinweisen durch, die diese Überzeugung hätten stören können.

Amal Shafiq aus Ägypten warnte davor, die medizinischen Folgeprobleme als Hauptargument gegen Beschneidung weiblicher Geschlechtsorgane zu verwenden. „Da müssen andere Gesichtspunkte hinzukommen, zumal medizinische Komplikationen nach einem solchen Eingriff in Ägypten gar nicht so häufig sind.“ Die würden nämlich meistens durchaus professionell in Krankenhäusern vorgenommen. Trotz mehrfacher ungläubiger Nachfrage beharrte Amal Shafiq, die seit Jahren im ägyptischen Gesundheitswesen arbeitet, auf ihrem Standpunkt. Schlußfolgerung von Ines Laufer von Terre des Femmes: „Vielleicht ist es ja so, daß die betroffenen Frauen ihre Gesundheitsprobleme gar nicht mehr wahrnehmen, weil sie sich so daran gewöhnt haben.“

„Jetzt wissen wir schon nicht einmal mehr selber, ob wir krank sind oder nicht“, murmelte an dieser Stelle die Kenianerin Virginia Wangare empört, die als Zuhörerin im Publikum saß. „Afrikanische Frauen werden hier nur als hilflose Opfer gesehen.“

Die Sorge, daß dieser Eindruck erweckt werden könnte, beschlich offenbar allmählich auch die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Köster-Loßack. „Wir maßen uns nicht an, zu belehren“, betonte sie. „Die entscheidenden Initiativen müssen von Frauen kommen, die betroffen sind.“ Auch der von Ines Laufer erhobenen Forderung an die Bundesregierung, Fördermittel für Familienplanungsprogramme nur noch an Projekte zu vergeben, die „eine präventive Komponente gegen genitale Verstümmelung“ beinhalten, mochte sie sich nicht einfach so anschließen.

Zu verurteilen sei jedoch, so Angelika Köster-Loßack, ein „Kulturrelativismus“, der alles mit dem Hinweis auf andere Traditionen rechtfertige. Das fand auch ihre Kollegin Amke Dietert- Scheuer: „Der kulturrelativistische Ansatz kommt ja immer, wenn es um Menschenrechtsverletzungen an Frauen geht. Das ist ganz typisch.“ Schon allein daran, daß sich auch vor Ort Frauen gegen die genitale Verstümmelung wehrten, zeige sich, daß diese Eingriffe eben keine allgemeine Sitte seien.

Diese doch recht ungewöhnliche Definition gesellschaftlicher Normen blieb unwidersprochen im Raume stehen.