piwik no script img

■ QuerspalteMein Gott, Walter!

Die Akademie der Künste ist tolerant. Jeder in der Hauptstadt glaubt das gern. Nicht zuletzt der Erzliberale Walter Jens, der dieser Institution präsidierend vorsteht, bürgt für diese Weltoffenheit. Auch das hofft jeder in Berlin. Vergebens, wie nun bekannt wurde. Zwar hatte sich das Haus, schreibt es jetzt beleidigt, „in Verpflichtung einer über Jahrhunderte unterdrückten Minderheit gegenüber“ entschlossen, eine Ausstellung zum 100jährigen Jubiläum der Schwulenbewegung zu zeigen. Und was ist der Dank?

Die taktlosen Homos haben „das Thema in billig provozierender und das Problem in absolut unangemessener Weise“ behandelt. Gemeint ist das Programmheft, das, kaum hielten die Akademiker es in Händen, sie erschrocken, ja, erschüttert haben muß. Es zeigt zwar nichts, was dem Normalbürger fremd ist – ein mit dem Spruch „Goodbye to Berlin“ tätowiertes Hinterteil –, nichts, was nicht auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen präsentiert würde, ohne sich gleich bayerische Zensurmaßnahmen einzuhandeln.

Überhaupt bietet das Heftchen keine Spur Schlüpfriges und kein Gran von dem, was eine „seriöse Aufarbeitung der Vergangenheit“ (so die besorgte Akademie der Künste) behindert. Im Gegenteil beweist es offiziös, daß schwules und lesbisches Leben nicht mehr allein im Fadenkreuz löblich-liberaler Antidiskrimühen zu verorten sein muß. Vielmehr bietet es das gewöhnliche homosexuelle Leben – ein wenig Literatur und Musik, ein bißchen Politisierei, hier eine kleine Performance, dort eine kleine Selbstdarstellung.

Im vornehmen Akademiegehege wird nun lediglich der nackte, pardon, nüchterne Terminplan ausgelegt. Seltsam: Bisher stand Walter Jens nicht für eine öffentliche Moral, die das Wirkliche vom Vorgespiegelten unterschieden wissen wollte. Möglich also, daß das Hinterteil auf dem Titelbild im Affekt so etwas wie blanken Neid ausgelöst hat – es wäre ja nur menschlich. Aber muß denn gleich derart rabiat die These untermauert werden, daß den Liberalen asexuelle Homos die liebsten Homos sind? Arne Fohlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen