: Flüchtlingskinder warten auf Godot
■ Kurdischen Kindern wird vom Vormund oftmals ein Klageverfahren gegen negativen Asylbescheid verweigert. Begründung: „Nicht im Interesse des Mündels“
Der Kreuzberger Rechtsanwalt Lüder Suling erhebt schwere Vorwürfe gegen die Treptower Amtsvormundschaft: Sie bringe aufgrund „grob falscher Entscheidungen“ ausländische Minderjährige in große Gefahr. Der Treptower Vormund eines 14jährigen kurdischen Flüchtlings hatte sich geweigert, gegen den ablehnenden Asylbescheid zu klagen, weil es nicht dem Kindeswohl entspräche, „Verfahren zu betreiben, die keinerlei Aussicht auf Erfolg haben“.
Der Junge K. aus der kurdischen Provinz Agri floh vor etwa einem Jahr nach Berlin. Seinen Asylantrag begründete er mit der Menschenrechtssituation in der Türkei. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nahm sich ganze 35 Minuten Zeit, K. anzuhören. Soldaten waren in sein Dorf gekommen, hatten ihn und seine Familie geschlagen, den Vater für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt und die Ernte verbrannt. Die Rückkehr in die Türkei, so gab er an, würde seinen Tod bedeuten. Dennoch lehnten die Beamten K.s Asylantrag ab. Dem Jungen hätte eine innertürkische Fluchtalternative offengestanden. Das war im November vergangenen Jahres.
Damals lag zwar, so Anwalt Suling, noch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor, das den Verweis auf innertürkische Fluchtalternativen bei Minderjährigen ohne vorherige Prüfung untersagt. Aber, so der Anwalt weiter: „Die Rechtssprechung war höchst umstritten. Gerichte fällten verschiedene Urteile. Die Entscheidung des Vormundes, eine Klage wäre aussichtslos, entbehrte jeder Grundlage.“ Zudem hätte die zweijährige Haftstrafe von K.s Vater die Möglichkeit nahelegen müssen, daß auch nach dem Sohn landesweit gefahndet wird.
Der Treptower Vormund Danilo Büttner verweigerte K. nicht nur die Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid, er zog sogar eine Klage des Anwalts zurück. Erst als Büttner als Vormund enthoben wurde, war es möglich, die Entscheidung des Bundesamtes gerichtlich zu prüfen.
K. ist kein Einzelfall: Claudia Schippel vom Flüchtlingsrat betreut eine große Zahl kurdischer Kinder, denen der Vormund seit November konsequent Klageverfahren verweigerte, weil das angeblich nicht „im Interesse des Mündels sei“. Die meisten hätten nicht einmal die Chance, mit Hilfe eines Anwalts den Amtsvormund von seiner Tätigkeit zu entbinden: Der verbietet es Anwälten, von ihren Mündeln Geld zu nehmen. „Die Jugendlichen hängen gestreßt und motivationslos in den Unterkünften herum, eine sinnvolle pädagogische Arbeit ist angesichts ihrer Perspektivlosigkeit gar nicht möglich.“
Claudia Schippel warf dem Jugendamt auf einer Veranstaltung im Treptower Rathaus vor, sich um die Zukunft dieser Kinder nicht zu kümmern. „Eine Klage, die nach der Rechtssprechung durchaus angebracht gewesen wäre, verweigerte der Vormund. Die Jugendlichen sind zur Ausreise verpflichtet, können aber nicht abgeschoben werden. Der Internationale Sozialdienst, der die Rückführungen Minderjähriger und ihre Integration in die Herkunftsfamilie organisieren müßte, weigert sich, Kurden in die Türkei zurückzuverfrachten. Was soll mit den Jugendlichen passieren?“
Die Amtsvormundschaft blieb eine Antwort schuldig. Begründung: Man sei „auf diese Frage nicht vorbereitet“. Die Amtsvormundschaft hat jedoch recht genaue Vorstellungen, was alles „nicht dem Kindeswohl entspricht“: Aussichtslose Klageverfahren, ein Aufwachsen der Flüchtlingskinder in Deutschland, „losgelöst von ihren Kontakten und ihrer Kultur“. Was hingegen dem Wohl der Kinder dient, vermochte die Amtsvormundschaft nicht zu sagen. Der zuständige Amtsleiter Weiß wies nur auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hin. Die würde allerdings nicht genutzt.
Die ausreisepflichtigen Kurden warten in Flüchtlingsunterkünften weiter auf Godot. Oder auf den 16. Geburtstag. Dann kann sie die Senatsverwaltung für Inneres ohne Nachfrage beim Internationalen Sozialdienst abschieben. Oder aber sie können ohne Einverständnis des Vormunds klagen – falls die Klagefristen nicht längst abgelaufen sind. Marina Mai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen