: "La Belle" war einst der Beiname der zairischen Hauptstadt. Unter Mobutus Herrschaft ist sie verkommen zu "La Poubelle", dem Mülleimer. Die Reichen setzen sich in den Kongo ab. Die anderen warten jetzt mit verhaltener Ungeduld auf die Rebel
„La Belle“ war einst der Beiname der zairischen Hauptstadt. Unter Mobutus Herrschaft ist sie verkommen zu „La Poubelle“, dem Mülleimer. Die Reichen setzen sich in den Kongo ab. Die anderen warten jetzt mit verhaltener Ungeduld auf die Rebellen
Kinshasas Hoffnung heißt Kabila
Auf dem Markt von Matonge im Herzen Kinshasas laufen die Geschäfte schlecht. Seit die Rebellen unaufhaltsam vorrücken, kommen immer weniger Lebensmittel in die Hauptstadt. Die Preise sind entsprechend gestiegen. Auch das in ganz Afrika berühmte Nachtleben von Matonge, das Größen wie den Musiker Papa Wemba hervorgebracht hat, swingt und tanzt bloß noch halbherzig.
Im Nachtclub „Savannah“ sitzen vor allem Männer. Die Frauen und Kinder der Ausländer sind bereits vor Wochen abgereist. Die Männer sitzen um die wenigen Tische und reden über die Abreise Mobutus nach Gabun – zu einer Regionalkonferenz über die Modalitäten des Machtwechsels in Zaire. Es ist laut, das Bier fließt. Die Männer erwarten am nächsten Tag eine „ville morte“, eine Protestaktion „Geisterstadt“, bei der alle zu Hause bleiben. Aber es kommt anders: Mobutu verläßt am Mittwoch morgen Kinshasa – und die Anspannung verschwindet, die Stadt atmet auf und lebt, als ob nichts gewesen wäre.
Die „Allianz demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Ex-Zaire“ (AFDL) wird in Kinshasa mit verhaltener Ungeduld erwartet. Für die meisten ist AFDL-Führer Laurent-Désiré Kabila der Erlöser. „Wir haben nichts mehr zu verlieren“, sagt Emmanuel. „Wir leben in einer Diktatur. Wenn Kabila uns nun auch eine Diktatur bringt, haben wir nichts verloren, aber vielleicht können wir etwas gewinnen: Ruhe vor der Armee. Und vielleicht können wir unter Kabila sogar wieder arbeiten.“
Emmanuel mußte kürzlich eine Nacht in Haft verbringen, weil er seine Identitätskarte nicht bei sich hatte, als er von Militärs an einer Straßensperre angehalten wurde. Seine Identitätskarte war ihm am Vortag vom Geheimdienst „Snip“ abgenommen worden. Erst als seine Frau den Militärs 100 Dollar brachte, kam Emmanuel frei. „Sie hätten diese Zelle sehen sollen. Nicht einmal Hunde dürfte man dort einsperren.“
Die große Frage bleibt: Kommt Mobutu aus Gabun zurück oder fliegt er weiter nach Frankreich? Kehrt Mobutu zurück, könnte es zu Kämpfen um Kinshasa kommen. Eine Zeitung titelt, Mobutu sei mit 100 Millionen Dollar in der Tasche nach Gabun gefahren, um Söldner aufzutreiben. Die Nachrichten von der 200 Kilometer entfernten Front sind düster. In der Stadt Kenge hat die Armee ein wahres Blutbad angerichtet.
Aber Kinshasa steht bereit für den Einmarsch Kabilas. Viele Soldaten haben ihre Uniformen mit Zivilkleidung vertauscht und geben unumwunden zu, daß auch sie müde sind und auf einen Wechsel warten. Die größte Oppositionspartei Zaires, die „Union für Demokratie von Sozialen Fortschritt“ (UDPS) unter dem populären Etienne Tshisekedi, hält, ohne es ausdrücklich zu erklären, schon zu Kabila. Die Straße zu Tshisekedis Haus haben UDPS-Aktivisten mit Baumstämmen blockiert, um ihren Chef zu schützen. „Wir haben keine Angst vor Kabila“, meint ein Vertrauter Tshisekedis. „Er wird mit uns verhandeln. Bis er da ist, verhalten wir uns ruhig. Kabila hat deutliche Zeichen gegeben, daß er uns nicht ausschließen wird. Er hat viele UDPS-Anhänger in seinen engsten Reihen.“
Vor Jahren hieß Kinshasa „La Belle“ – die Schöne. Kleine Plätze, mit viel Liebe zum Detail geschaffen, erinnern noch daran. Heute nennt man Kinshasa „La Poubelle“ – den Mülleimer. Die Straßen, mit Ausnahme einiger großer Avenuen, bestehen bloß noch aus Schlaglöchern, die einstöckigen Häuser in der dichtbesiedelten Cité fallen in sich zusammen. Gras überwuchert die Backsteinruinen, mit Plastikplanen schaffen sich die Leute ein Dach über dem Kopf. „Wären wir nicht belagert, könnte man denken, wir hätten hier den großen Krieg bereits durchgemacht“, sagt einer. „Sieht es nicht so aus, als ob hier Bomben eingeschlagen hätten?“
Am Boulevard du 30 Juin, der einstigen Prachtallee, die sich durch das einzige Geschäftsviertel zieht, werden seit einigen Tagen die Grasrabatten zurechtgeschnitten. Die Gärtner sind nicht sehr motiviert. Nach zwei Tagen arbeiten sie noch am selben Stück. Das ist kein Wunder, denn sie gehören zu den Tausenden von Staatsangestellten, die seit Monaten ihren kümmerlichen Lohn nicht ausbezahlt bekommen.
In den Autokolonnen vor den riesigen Schlaglöchern versteckt sich hier und da noch ein Luxusmodell. Die meisten teuren Wagen aber sind aus dem Straßenbild verschwunden. In Pajeros mit getönten Scheiben sitzt meist ein Militär. Der Gehsteig vor der Botschaft der Republik Kongo am Boulevard du 30 Juin ist vollgeparkt: Hier beantragen täglich Zairer und Ausländer ein Visum für das Nachbarland.
„Das Visum für einen Monat kostet 50 Dollar, wenn Sie ihren Paß hierlassen. Wenn Sie es sofort wollen, macht das 100“, erläutert knapp eine Botschaftsangestellte. Das Geschäft blüht, denn Brazzaville, die kongolesische Hauptstadt, ist gerade 20 Minuten Bootsfahrt über den Fluß entfernt. Eine kongolesische Händlerin im Eingang der Botschaft erzählt den Wartenden: „Alle wollen jetzt nach Brazza. Aber mit mir kann man das nicht machen! Ich bin gekommen, um Schulden einzutreiben, bevor hier die Hölle losgeht. Was denken sich die Zairer eigentlich, einfach zu verschwinden, ohne zu zahlen?“
Am Hafen herrscht geschäftiges Treiben. Die Fahrt ans andere Ufer ist für die Zairer nur noch mit einer Spezialbewilligung möglich. Die Überfahrt kostet acht Dollar – ein stolzer Preis für die meisten, deren Monatslohn, wenn er denn ausgezahlt wird, zehn Dollar nicht übersteigt. Der Handel blüht: Aus Brazzaville kommen Männer und Frauen schwer beladen mit Plastikeimern, Mehlsäcken und anderen Waren. Die Uniformierten auf der Landebrücke stecken ihren Anteil gleich ein. Wer nicht bezahlt, wird zurückgeprügelt.
Ein Jaguar fährt durch das große Tor, Fernseher und Videogerät auf dem Dach, Klimaanlage auf dem Beifahrersitz. Die Luxusgüter fahren ans andere Ufer in Sicherheit. Der Fahrer muß anhalten und wird von der Masse beschimpft: „Haut bloß ab und kommt nie mehr zurück. Wegen Leuten wie euch sind wir heute da, wo wir sind!“ Er ist nicht der einzige, der zumindest sein Auto in Sicherheit bringen will. Die Wagen am Hafen haben zum Teil Diplomatenschilder und gehören allesamt zur gehobenen Preisklasse. Ihre Besitzer stehen diskret im Schatten. Jene, die es sich nicht leisten können, nach Brazza zu fahren und die auch nichts besitzen, versuchen mit allem, was überhaupt denkbar ist, Geschäfte zu machen. Da werden auf dem Markt für 20 Dollar falsche Hunderter verkauft. Der Gendarm muß seinen Vorgesetzten bezahlen, um an einer Straßenkreuzung mit Rotlicht Dienst machen zu können – sein Schmiergeld kassiert er dann von den Taxis und Busfahrern wieder ein. „Mindestens zwei Bier am Tag müssen wir den Gendarmen bezahlen“, sagt der Taxifahrer. „Aber wenn wir einmal bezahlt haben, lassen sie uns in Ruhe – bis die nächste Schicht ihren Dienst antritt.“
Im Kinshasa der Händler haben einige gut gelebt – sehr gut. Die große Mehrheit aber leidet. Und der großen Mehrheit reicht es. Andrea König, Kinshasa
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