piwik no script img

Mehr Klinsmann, weniger Prolo-Folk

Immer mehr Frauen gehen in die Stadien, angezogen von der neuen Präsentation des Profifußballs. Auch beim Buhlen um die weibliche Kundschaft ist ein Klub ganz vorn: Bayern München  ■ Von Dietrich Schulze-Marmeling

Wenn vom „neuen Publikum“ die Rede ist, das die Ränge der Fußballstadien bevölkert, dann geht es nicht nur um die „Besserverdienenden“, sondern auch um die Frauen. Als Branchenführer gilt hier der FC Bayern. Jedenfalls kam 1994 eine Ufa-Studie zu dem Ergebnis, daß unter den fußballinteressierten Bürgern mehr Frauen als Männer die Münchener bevorzugen. Outeten sich bei den Männern 28,6 Prozent als Bayern-Fans, so waren es bei den Frauen 39,6.

Kommentar des offiziellen „Bayern-Jahrbuchs“: „Offensichtlich haben die Verantwortlichen bei der Verpflichtung unserer Spieler auch in puncto Attraktivität dem Geschmack des Publikums ausreichend Rechnung getragen.“ Der FC Bayern, nach eigenem Bekunden nicht länger nur ein Fußballklub, sondern auch ein Unterhaltungsbetrieb, sucht seine Akteure nicht allein nach sportlichen Kriterien aus. Als der Klub 1990 Michael Sternkopf verpflichtete, versprach Manager Hoeneß, den Spieler zum „Agassi der Bundesliga“ aufzubauen. Alain Sutter wurde 1994 bei einer Umfrage der Zeitschrift Gala und des Pay-TV- Senders Premiere zum „schönsten Spieler“ gewählt. Münchens Modezar Rudolf Moshammer über den Geadelten: „Sutter verkörpert das neue Bild des Mannes. Hier steht das weiche und sanfte Element im Vordergrund. Die Machotypen wie Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger sind out.“ In der gleichen Umfrage nannten 38,46 Prozent Sutters Bayern als das Team „mit den flottesten Typen“. Borussia Dortmund kam als Zweitplazierter lediglich auf 17,92 Prozent, wurde aber trotzdem Meister. Mehmet Scholl avancierte zum Teeniestar und zur Popikone, während Jürgen Klinsmann die Frauen mobilisierte und die kritischen Intellektuellen irritierte, in der Vergangenheit nicht unbedingt Stammkunden des Klubs.

Mögen Klinsmanns Angriffsbemühungen bisweilen umstritten sein: Fürs Merchandising war er noch weit wertvoller als für den sportlichen Erfolg.

Extrem aufdringlich gestaltet sich das Werben um weibliche Kundschaft im voluminösen Fanartikel-Katalog der Münchener: Der Spieler Zickler posiert mit bloßem Oberkörper, um die Hüften ein Bayern-Handtuch geschlungen. Eine „technische Superkanone“ wird Zickler nach Auffassung von Karl-Heinz Rummenigge nie werden, aber immerhin attestiert der Bayern-Vize ihm „einen Körper wie Adonis“. Daß seit einigen Jahren wieder mehr Frauen in die Stadien pilgern, hat ganz wesentlich mit der neuen Präsentation des Profifußballs zu tun. Die Zeiten, in denen der Schweißgeruch proletarischer Fußballarbeiter sogar noch aus dem Fernseher drang, sind endgültig vorbei. Die Stars von heute schwitzen nicht, sie glänzen nur. Die Wende kam mit der WM 1990 in Italien, wo der Fußball schon immer ein vielschichtigeres Publikum mobilisierte. Die WM-Organisatoren präsentierten das Ereignis in einer Weise, die nicht nur das traditionelle Publikum ansprach. Die Stadien waren modern und komfortabel, fürs kulturelle Programm sorgten Pavarotti und Freunde. Das Semifinale Deutschland–England wurde weltweit von mehr Frauen als Männern gesehen.

Dabei ist das weibliche Interesse am Fußball keineswegs neu. Als der englische Fußball noch kein proletarisches Massenphänomen war, wurden unter den Zuschauern auch viele Frauen gesichtet. Dies änderte sich mit den ersten Ausschreitungen. In den Stadien formierte sich eine „Widerstandsbewegung“ gegen den kulturellen Habitus der mittleren und oberen Schichten. Das rauhe Klima auf den ausschließlich männlich besetzten Stehrängen sollte die Angehörigen der „feineren Gesellschaft“ vom Stadionbesuch abhalten. Die Stadien umgab bald eine furchterregende Aura. Die hier zelebrierte Unterschichtskultur grenzte allerdings nicht nur „die da oben“ aus, sondern auch das andere Geschlecht.

Daß der FC Bayern bei den Frauen führend ist, kommt nicht von ungefähr. Seine Geschichte ist eine rein bürgerliche, phasenweise gar elitäre, die sich fundamental von der einiger Ruhrpottklubs unterscheidet und zugleich immer wieder durch einen gewissen Avantgardismus auszeichnet. Der hohe Frauenanteil korrespondiert mit dem sozialen Image des Klubs. Viele der Frauen, die der Fußball neu gewonnen hat, bevorzugen einen gewissen Komfort und haben mit der Kultivierung „proletarischer Folklore“ wenig am Hut. Was so mancher traditionelle (männliche) Fan als Flair empfindet – vollgepißte Toiletten, lauwarmes Bier und eine fetttriefende Bratwurst, kein Dach überm Kopf und keine Sitzschale unterm Gesäß –, betrachten diese Frauen als abstoßend. Auch bevorzugen viele Frauen eher elegante und nachdenklich wirkende Spieler als beinharte Klopper mit zerfurchtem Gesicht. Mehr Frauen auf den Rängen, das ist auch ein Produkt der erneuten „Verbürgerlichung“ der Fußballkultur. „Frauenwerte“ und „mittelständische Werte“ überschneiden sich teilweise. Was heute öffentlich als „Frauenwerte“ gehandelt wird, wird von mittelständischen Frauen in deren publizistischen Organen formuliert.

Der soziale Wandel im Fußball ist ein Projekt, an dem das Bayern- Management seit Mitte der 60er strickt. In den 80ern war der FC Bayern der erste Klub, der erkannte, welch riesiger Markt mit den Frauen brachlag, deren Beteiligung am politischen, ökonomischen und kulturellen Leben stetig gestiegen war. Auch Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter spielten eine wichtige Rolle, wobei diesbezügliche Progressivität und Liberalität wohl eher im mittelständischen als im Unterschichtsmilieu anzutreffen sind. Die Zeiten, in denen viele Männer das Wochenende familienlos zwischen Fußballplatz und Kneipe verbrachten, während es der besseren Hälfte vorbehalten blieb, für das Essen und die Kinder zu sorgen, sind vorbei. Der Fußball muß sich um die Frauen kümmern, will er auch weiterhin die Männer mobilisieren. Was den Bundesligaklubs diesbezüglich einfällt, ist in der Regel allerdings erbärmlich: schöne Spieler und Einkaufsareale. Daß sich hinter den neuen, eleganten Fassaden der Klubzentralen in Wahrheit nicht viel verändert hat, wird offensichtlich, wenn Frauen diese nicht als Kunden betreten, sondern um im Geschäft der Männer mitzumischen.

Auch beim FC Bayern geht es aber natürlich mitunter munter chauvinistisch zu, wie ein Video aus einem Trainingslager dokumentiert: „Wäre ich eine Frau, würde ich dan ganzen Tag mit meinem Busen spielen“, bekennt da Lothar Matthäus. Bei der Präsentation des Videos im „Aktuellen Sport-Studio“ des ZDF erläuterte Drehbuchautor Scholl, wie man verhindert, daß der Zimmernachbar über einen herfällt: „Eiserne Regel eines Profis: Mit dem Po zur Wand. Da kann nichts passieren.“

Wenn Männer ohne weibliche Aufsicht aufeinanderhocken, zumal im Rahmen einer Fußballmannschaft, droht der geistige Absturz. Auch beim FC Bayern. Vom einst öffentlich bekundeten Interesse des Managers Uli Hoeneß, mit Alice Schwarzer zu dinieren, ist das jedenfalls meilenweit entfernt.

Vom Autor erscheint im September im Verlag Die Werkstatt: „FC Bayern. Vom Klub zum Konzern – die Geschichte eines Rekordmeisters“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen