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Touristensafari zum Waisenhaus

Kinkel reiste mit Journalistentroß nach Sarajevo. Besichtigungstour für wenige Stunden: In Sarajevo werden inzwischen Postkarten mit den spektakulärsten Ruinen verkauft  ■ Aus Sarajevo Bettina Gaus

Es gibt in Sarajevo für Besucher ein festes Besichtigungsprogramm: „Wir sind eben vom Flughafen her über die berühmte sniper alley gefahren.“ Die sei während des Kriegs bevorzugtes Ziel der Scharfschützen gewesen, erklärt der junge deutsche Diplomat den Journalisten, die Klaus Kinkel auf seiner Reise nach Bosnien begleiten. Während der Außenminister politische Gespräche führt, steht für die Medienvertreter eine Stadtrundfahrt auf dem Programm.

Der Bus hält unterhalb der Synagoge. Von hier aus, wo früher die Front verlief, ist der gesamte alte Stadtkern mit der größten Moschee und den großen christlichen Kirchen zu überblicken. „Man kann von diesem Punkt aus deutlich erkennen, wie eng die Angehörigen der verschiedenen Religionen früher zusammengelebt haben“, meint der Mitarbeiter der deutschen Botschaft. Vor ein paar Wochen hatte ein Bundeswehroffizier beim Besuch von Verteidigungsminister Volker Rühe den begleitenden Journalisten dasselbe erzählt.

Es ist verführerisch, solche Stippvisiten zum Anlaß für einen bissigen Artikel gegen Kriegstourismus zu nehmen. In der Altstadt von Sarajevo werden inzwischen Postkarten verkauft, auf denen besonders spektakuläre Ruinen abgebildet sind. Aber was ist die Alternative zur Kurzreise? Gar nicht hinfahren? Gehört nicht auch die emotionale Erfahrung vor Ort zur verantwortlichen Gesamteinschätzung der Situation für jene, die mit Kommentaren und Berichten zur Meinungsbildung der Öffentlichkeit beitragen — und noch vielmehr für jene, die politische Entscheidungen zu treffen haben?

Fernsehbilder bereiten auf Zerstörung nicht vor

Bundesinnenminister Manfred Kanther hat sich die Erfahrung erspart. Er verzichtete ebenso wie fast alle eingeladenen Innenminister der Länder darauf, den Außenminister auf seiner Reise zu begleiten. Eine Ausnahme machte nur Rudi Geil, Vorsitzender der Innenministerkonferenz.

„Mich berührt, daß mich die Fernsehbilder der letzten Jahre in keiner Weise auf den Anblick hier vorbereitet haben“, sagt ein erfahrener Journalist nach der Stadtrundfahrt. Das Ausmaß des Elends sei weit größer, als er es sich vorgestellt habe.

Außenminister Klaus Kinkel ist in jüngster Zeit wegen des gescheiterten kritischen Dialogs mit dem Iran, für den er sich besonders stark gemacht hatte, ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Jetzt wirbt er in einer Frage um Unterstützung, bei der er gerade auf die Zustimmung derer hoffen kann, die ihn wegen seiner Menschenrechtspolitik in der Vergangenheit angegriffen haben. Vor dem Hintergrund großer Wohnungsnot und hoher Arbeitslosigkeit in Bosnien und angesichts der Tatsache, daß die politische Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton noch immer auf sich warten läßt, tritt Kinkel für die Gestaltung „humaner Umstände“ bei der Rückführung bosnischer Kriegsflüchtlinge aus Deutschland ein.

Seine kritischen Anmerkungen zur Flüchtlings- und Abschiebepolitik einiger Bundesländer haben zum innenpolitischen Streit geführt, da die Innenminister sich bei dieser Frage vom Auswärtigen Amt nicht hineinreden lassen wollen. Aber was genau will der Außenminister eigentlich? Er und Rudi Geil üben sich während der Reise in demonstrativer Harmonie. „Die Innenminister werden von mir von morgens bis abends unterstützt“, betont Kinkel. „Ich vertrete selbstverständlich die Linie der Bundesregierung.“ Diese Linie besage: Rückführung der Flüchtlinge so schnell wie möglich, bei gleichzeitiger Gestaltung humaner Umstände. Er habe keine Auseinandersetzung mit Manfred Kanther. Das sei falsch.

Rudi Geil erklärt, er stimme insgesamt mit der Bewertung Kinkels überein. Aber was genau besagt die? Er wolle sich nicht „kleinkariert“ streiten, sagt der Außenminister und vermeidet jede weitere offene Kritik an den Länderministern. Von der bosnischen Seite erwarte er „deutlichere Zeichen“, daß die Flüchtlinge dort willkommen seien. Seine Gesprächspartner haben ihn und EU-Kommissar Hans van den Broek um weitere finanzielle Hilfe gebeten. Ob die erteilt werden wird, ist offen.

„Heute haben wir einen Rekord an Besuchern“

Jetzt will Kinkel erst einmal „einen neuen Anlauf nehmen“, damit man sich auf Bund- und Länderebene zusammensetze und das Flüchtlingsproblem erörtere. „Wir müssen schon darüber nachdenken, ob die bisherige Art und Weise, in der wir's gemacht haben, richtig ist.“ Konkreter mag er nicht werden.

Während der Stadtrundfahrt hält der Journalistenbus auch vor dem Waisenhaus, in das kürzlich unter großer Anteilnehmer der Medien Kinder heimgekehrt sind, die während des Kriegs Aufnahme in Sachsen-Anhalt gefunden hatten. Im Büro von Direktor Zelić Amir steht ein riesiger Tisch. Unter einer Glasplatte liegen darauf die Visitenkarten ausländischer Gäste. El Pais ist ebenso vertreten wie die BBC und La Repubblica.

„Wir hatten viele Besucher, seit die Kinder hierherkamen, aber heute ist ein Rekordtag“, sagt Zelić Amir müde. „Es fängt an, sich zu einer Safari zu entwickeln.“ Den Zutritt zu den heimgekehrten Kindern mag er den Journalisten dennoch nicht verwehren: „Sonst gibt es nur Spekulationen, daß wir Ihnen verbieten wollen, die Kinder zu sehen.“ Viele Kollegen und auch Mitarbeiter des Auswärtigen Amts verzichten dann aber doch lieber. Sie möchten nicht stören.

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