■ Warum die Kommunisten derzeit die interessanteste Partei in Frankreich sind. Ein Gespräch mit Emmanuel Todd: „Maastricht – das ist der Abgrund“
taz: Zwei Wochen vor den französischen Parlamentswahlen fehlt dem Wahlkampf noch die rechte Stimmung. Warum?
Emmanuel Todd: Jacques Chirac hat die Nationalversammlung aufgelöst, weil er sich davon eine breitere parlamentarische Unterstützung für seine kriselnde EU- Politik verspricht. Seine perverse Hoffnung war, daß bei den Wahlen nicht über Europa geredet werden würde. Aber genau diese Frage bewegt die französische Gesellschaft – das Scheitern der Wirtschaftspolitik, die mit dem Euro zusammenhängt. Chirac hat sich als Euro-Extremist positioniert.
Soll heißen?
Er will den Euro, egal zu welchem Preis, egal wie. In diesem Kontext haben die Sozialisten begonnen, Fragen zu stellen. Indem Chirac sich als Euro-Extremist positionierte, hat er die Bedingungen für eine Vereinigung der Linken geschaffen, in der die Kommunisten eher gegen den Euro und die Sozialisten eher dafür sind.
Vor zwei Jahren waren Sie einer der Inspiratoren von Chiracs Präsidentschaftswahlkampf. Jetzt wollen Sie kommunistisch wählen. Warum?
Ich werde freudig und wohlgestimmt die Kommunisten wählen. Ich habe ein sehr stabiles persönliches Meinungssystem – ich gehe von einer Interaktion zwischen den Brüchen in der französischen Gesellschaft und dem europäischen Aufbau aus. Letzterer ist eine Sache der Eliten, er kommt aus dem sozialen Bruch und nährt ihn andererseits. Deshalb bin ich, wie die KPF, gegen den europäischen Aufbau nach dem Maastrichter Modell.
Also ist Chirac derjenige, der sich gewendet hat?
Ja. Chirac ist, politisch und persönlich, eine instabile Figur. Er war in der Lage, mit linken Themen Präsident zu werden und dann eine orthodoxe Europa- und Haushaltspolitik zu betreiben. Das war eine kalkulierte, politische Manipulierung.
Und die KPF ist nun für Sie eine Partei wie alle anderen?
Nein, dann würde ich sie nicht wählen. Ich war stets einer der solidesten Antikommunisten in Frankreich. Ich habe den Zusammenbruch der Sowjetunion vorausgesagt [1979 in dem Buch „La chute finale“; Anm. d. R.] und den Kommunismus in China und der UdSSR mit der Existenz von spezifischen bäuerlichen Familienstrukturen erklärt. Das waren radikale Widerlegungen des Marxismus.
Der Stalinismus ist für Sie kein Problem mehr?
Der Stalinismus ist explodiert: Die Sowjetunion und ihre Ideologie existieren nicht mehr. Für die französischen Kommunisten waren das externe Ereignisse, aber von umstürzender Kraft und Radikalität. Wie ein Erdbeben. Im Alter von 16 bis 20 war ich Kommunist. Im letzten Jahr habe ich viele alte Kontakte wieder aufgenommen und dabei gemerkt, wie radikal dieser Einschnitt war. Heute ist die KPF die einzige Partei in Frankreich, die völlig dezentralisiert, anarchisch und liberal ist. Im Vergleich dazu ist die RPR [die neogaullistische Partei von Chirac; Anm. d. Red.] stalinistisch. Außerdem sind die Kommunisten Leute, die sich nicht für Geld interessieren und die in normalen Orten in der Banlieue wohnen. Da hat sich eine Reinheit erhalten.
Würden Sie in Deutschland auch kommunistisch wählen?
Selbstverständlich nicht. Niemals! Die deutsche KP war an den real existierenden Kommunismus gebunden. Das ist auch eine viel bourgeoisere Partei als die französische. Sie waren an der Macht und haben in Ostdeutschland die Mittelschicht gebildet.
Wie beurteilen Sie die deutsche Haltung zum Euro?
Das deutsche Volk hat keine Lust auf den Euro. Der soziale und kulturelle Bruch ist dort genauso stark wie in Frankreich. Die Anti- Euro-Stimmung ist sogar stärker, weil die D-Mark das Herz des moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus war. Aber dies wird durch die politische Korrektheit der Eliten verdeckt. In Deutschland gibt es viel Unausgesprochenes über den Euro. Es ist wie in einem verschlossenen Drucktopf. Das ist ungesund. In Frankreich ist der Konflikt über den Euro im Vergleich dazu relativ offen.
Welche zentralen wirtschaftlichen Einwände gegen den Euro sehen Sie?
Was mich frappiert, ist die Spanne zwischen der aktuellen Lage und dem Maastricht-Projekt, das aus den 80er Jahren datiert. Die 80er waren einer Zeit der stabilen Währung und des Kampfes gegen die Inflation, in der es eher Probleme wegen zuviel Nachfrage gab. Gegenwärtig erleben wir eine demographische Schrumpfung. Die geburtenschwachen Jahrgänge von 1965 bis 75 werden erwachsen. Das führt zu einem Rückgang der Binnennachfrage. Kurzum: Der Euro ist ein antiinflationistisches Projekt, und die demographische Entwicklung ist deflationistisch. Alles, was man für Maastricht tut, fügt der demographischen Entwicklung negative Effekte hinzu. Das hat etwas Tragisches.
Welche Alternative zum Euro sehen Sie?
Das Europa der Nationen. Aber eine Gesellschaft kann nicht ohne Traum leben – früher nannte man das Ideologie oder Religion –, ein kollektives Projekt. Deshalb ist es so schwer, den Euro aufzugeben. Manche glauben, dies sei der letzte Traum. Ich bin da pragmatischer. Ich habe eine Vision von Europa, das nicht von Krieg bedroht ist. Von deutsch-französischen Beziehungen, die gut und normal sind. Und von sozio-ökonomisch-demographischen Problemen, die nur von jeder Nation gelöst werden können.
Sie wollen zurück in die Zeit vor Maastricht?
Wenn Maastricht verwirklicht wird, gehen die europäischen Länder auf einen Abgrund zu. Es ist doch keineswegs rückwärtsgewandt, in dieser Lage umzudrehen. Seit alle versuchen, die Maastricht- Kriterien zu erfüllen, um die Budgetdefizite zu senken, stockt alle andere Kooperation. Das lebendige Europa steht still.
Glauben Sie tatsächlich, daß der Euro weniger als zwei Jahre vor seiner geplanten Einführung noch gestoppt werden kann?
Es gibt eine kollektive Unfähigkeit, das Scheitern einzugestehen. Deshalb machen viele Politiker so weiter, wie sie angefangen haben. Ich bin für ein Referendum über den Euro. Aber selbst wenn es nicht dazu kommt, bin ich nicht unruhig. Nach der Einführung des Euro wird sich schnell zeigen, daß die Währungsunion nicht funktioniert. Im Jahr 2005 wird es keinen Euro geben. Entweder weil er nie eingeführt oder schon wieder abgeschafft wurde. Interview: Dorothea Hahn
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