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"Das wäre für mich Betrug"

■ Der Berliner Lebensmittelüberwacher Harald Spengler muß für die Einhaltung der Kennzeichnung von gentechnisch manipulierten Nahrungsmitteln sorgen. Ab heute gilt die neue Verordnung zur Etikettierung

taz: Heute tritt die europäische Novel-food-Verordnung in Kraft. Hier in Berlin sind Sie dafür zuständig, die Einhaltung dieses Gesetzes zu kontrollieren. So unter anderem auch, ob die Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln korrekt durchgeführt wird. Was hat der Verbraucher jetzt eigentlich zu erwarten?

Harald Spengler: Klar ist, daß eine Verbesserung eintritt. Jetzt besteht in der EU ein einheitliches Anmelde- und Genehmigungsverfahren für neuartige Lebensmittel. Auch das Kennzeichnungsrecht ist verbindlich.

Vorerst wird der Verbraucher aber doch vergeblich nach einem „Gentech-Label“ suchen.

Das ist richtig, die Verordnung gilt ja auch nur für Produkte, die neuartig sind. Der gentechnologisch veränderte Mais und die Soja sind bereits auf dem Markt, sie sollen zwar nachträglich noch unter die Kennzeichnungsregelung fallen. Das entscheidet sich aber erst am Ende des Monats.

Die Grauzone bei den Gentech- Produkten, die jetzt schon in den Regalen stehen, ist aber doch weitaus größer. Wird nicht auch darüber gestritten, ob das Tomatenpüree und das Baumwollöl – beides ist in Großbritannien schon seit längerem auf dem Markt – gekennzeichnet werden müssen?

Meiner Ansicht nach fallen diese Produkte unter die Novel- food-Verordnung. Bei uns sind sie ja noch nicht im Handel. Sollten sie hier verkauft werden, dann müßten sie angemeldet werden, und dann wird die Frage der Kennzeichnung zu entscheiden sein.

Welche Anforderungen werden Sie an Lebensmittel stellen, die als „gentechnikfrei“ ausgezeichnet sind?

Diese Frage ist noch nicht diskutiert worden. Ich bin aber der Ansicht, daß eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten nicht sein darf. Das heißt, es muß ein vergleichbares Lebensmittel geben, das gentechnologisch verändert ist. Ein simples Beispiel: Ganzbrot darf bei uns im Gegensatz zu Schnittbrot nicht konserviert sein. Wenn ich beim Ganzbrot draufschreibe „ohne Konservierungsstoffe“, dann ist das eine unerlaubte Werbung. Wenn jemand mit „gentechnikfrei“ wirbt und dadurch einen Marktvorteil hat, dann darf in dem Produkt auch nicht ein einziges Molekül sein, das mit Hilfe der Gentechnologie hergestellt wurde. Andernfalls wäre das für mich Betrug.

Was kann denn ein Verbraucher tun, wenn er den Verdacht hat, daß ihm etwas untergeschoben wurde?

Er kann sich an eines der bezirklichen Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter wenden und eine Verdachtsprobe abgeben. Das ist das übliche Verfahren, wie bei anderen Reklamationen im Lebensmittelbereich auch.

Werden Sie dann der Vermutung auch wirklich nachgehen?

Es wird erst einmal darauf ankommen, ob überhaupt ein Analyseverfahren für das Produkt existiert. Wenn ja, dann wird man es auch versuchen. Sollte das nicht der Fall sein, dann ist die Sache natürlich schon schwieriger. Langfristig muß sich die Lebensmittelüberwachung Gedanken darüber machen, welche Strategie man verfolgen soll, um die einzelnen Ausgangsprodukte bis zum Ursprung zurückverfolgen zu können. Denn sollten in Zukunft immer mehr gentechnologisch manipulierte Rohstoffe zugelassen werden, dann kommen wir irgendwann mit der Analytik nicht mehr hinterher. Interview: Wolfgang Löhr

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