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Das Unterhaus bekommt viel zu tun

Altes Ritual zur Verkündung der Reform: Die Queen verlas die Absichtserklärung der Regierung unter dem neuen Premier Tony Blair – alles wird anders, Überraschungen gibt es nicht  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Einmal im Jahr ziehen sich alle festlich an: der königliche Gemäldewart, der Siegelaufbewahrer, die Kammerzofe, der Bote für die Leibgarde, die Robenhüterin. Königin Elisabeth II. stülpt sich die Festtagskrone mit 3.000 Diamanten und 277 Perlen über und geht ins Oberhaus. Vor ihr läuft rückwärts der Marquis of Chalmondeley, um sie aufzufangen, falls sie stolpert. Black Rod, der Hausherr im Londoner Westminster-Palast, ruft die Unterhausabgeordneten zum „Queen's speech“ herauf ins Oberhaus.

Die Tradition will es, daß man ihm erst mal die Tür vor der Nase zuknallt, um zu demonstrieren, daß man sie nicht zwingen kann, dem Ruf der Königin Folge zu leisten. Denis Skinner, der linke Labour-Abgeordnete, bleibt auch diesmal im Unterhaus sitzen. Wenn alle versammelt sind, drückt der Lord Chancellor der Königin die Rede zur Eröffnung des neuen Parlaments in die Hand. Zum ersten Mal seit 18 Jahren ist sie von der Labour Party geschrieben worden.

Die erstarrten Rituale, die noch aus Zeiten des Tudor-Hofes stammen, stehen im krassen Gegensatz zu den weitreichenden Reformen, die Tony Blairs Labour-Regierung angekündigt hat. Die britische Regierung will bis zum Herbst nächsten Jahres dem Parlament 22 neue Gesetze vorlegen – so beschäftigt war das Unterhaus seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Mittelpunkt soll das Bildungswesen stehen. Blair versprach, das Niveau in allen Ausbildungsstufen zu heben und die Klassenstärken zu senken. Um die Reformen zu finanzieren, sollen die staatlichen Stipendien für Privatschulen abgeschafft werden.

Blair ließ die Queen ankündigen, daß Großbritannien der europäischen Sozialcharta beitreten werde. Er tritt für die Erweiterung der EU ein und will im Zuge der britischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1998 für mehr Demokratie und Effizienz in den EU- Institutionen sorgen. Bei der Währungsunion hielt er sich bedeckt: Eine Debatte sei vonnöten, hieß es in der Rede.

Was die Wirtschaft betrifft, so verspricht die Regierung Stabilität, Wachstum und neue Jobs. Das erste Labour-Budget im Juni soll dafür sorgen, daß die Staatsverschuldung sinkt. Wie angekündigt, will man der Bank von England mehr Unabhängigkeit zugestehen. So soll sie künftig die Zinsrate selbständig festlegen dürfen. Die Initiative zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit soll durch die „Privatisierung“ der Funkwellen finanziert werden: Funktaxis und Handybesitzer müssen demnächst mit höheren Gebühren für die Benutzung bestimmter Wellenlängen rechnen. Dadurch soll eine Milliarde Pfund ins Staatssäckel fließen. Einen Mindestlohn hat die Regierung ebenfalls angekündigt. Die Höhe steht jedoch nicht fest, die Gewerkschaften fordern vier Pfund pro Stunde.

Ein weiterer Schwerpunkt wird die Verbrechensbekämpfung sein. Die Regierung wird ein Gesetz einbringen, wonach Handfeuerwaffen generell verboten werden – eine Forderung, die von Eltern im schottischen Dunblane erhoben wurde, nachdem im vorigen Jahr 16 Kinder und ihre Lehrerin von einem Geistesgestörten erschossen worden waren.

Weitere Gesetze sollen für Verbesserung des Gesundheitsdienstes sorgen, Zigarettenreklame soll verboten werden. Mit dem Erlös aus dem Verkauf von Sozialbauhäusern sollen neue gebaut werden, um die unter den Tories gestiegene Obdachlosigkeit zu bekämpfen.

Im Herbst werden die Schotten und Waliser an die Urnen gebeten, um per Referendum über eigene Regionalvertretungen zu entscheiden. Auch die Londoner dürfen im Jahr 2000 einen Bürgermeister wählen, wenn sie das wollen. Und schließlich sollen die europäischen Menschenrechte, die seinerzeit von britischen Experten formuliert wurden, nun endlich auch in die britischen Gesetze übernommen werden.

Insgesamt sind Überraschungen ausgeblieben. Die Tory-Abgeordnete Jenny Tonge sagte, die Rede sei indirekt „ein Kompliment für Margaret Thatcher und John Major“ gewesen, deren Politik in weiten Teilen fortgesetzt werde. Die Liberalen Demokraten beklagten die fehlende Substanz: Es habe in der Regierungserklärung keine konkreten Aussagen zu den Bereichen Umwelt und öffentlicher Verkehr gegeben, sagte eine Sprecherin.

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