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Ein paar Tage Entführung sind inklusive

Wer im Jemen Urlaub macht, muß damit rechnen, einige Zeit unfreiwillig in den Händen eines Stammes zu verbringen. Doch dem Tourismus im Land tut das keinen Abbruch, denn für gute Verpflegung der Entführungsopfer ist zumeist gesorgt  ■ Aus Sanaa Karim El-Gawhary

Abends füllt sich das kleine Hotel im malerischen alten Stadtkern der jemenitischen Hauptstadt Sanaa mit Reisegruppen. Zu berichten gibt es vieles, von Schnäppchen im Bazar bis zu den Ausflügen in die entlegensten Gegenden des Landes am südlichen Ende der arabischen Halbinsel.

Daß dieses Jahr bereits zwölf Touristen, darunter elf deutsche, für mehrere Tage von Stämmen entführt wurden, die mit der Regierung in der Hauptstadt eine Rechnung zu begleichen hatten, hat niemanden von seiner großen Reise abgehalten. „Sicherlich“, sagt einer der Reisenden, „in Deutschland habe ich mir schon Gedanken gemacht“, zumal im März wieder vier deutsche Touristen entführt worden waren. Aber am Ende, da stimmt der ganze Tisch zu, sei bisher ja immer alles gut gegangen, seien die Entführten nach wenigen Tagen wieder wohlbehalten zurückgekehrt.

Nur einmal wurde sei ihnen mulmig geworden: als bei einer Fahrt im Norden ein Autoreifen mit einem großen Knall geplatzt sei. Da hätten sie dann doch kurz die Köpfe eingezogen und gedacht: „Jetzt ist es soweit!“ Übrig geblieben ist eine nette Geschichte, die man irgendwann einmal seinen Enkeln erzählen kann.

Muhammad Abdel Mughni, Vertreter des Yata, der Yemen Arab Touist Agency in Sanaa, bestätigt, daß sich die Entführungen bisher nicht auf das Geschäft ausgewirkt haben. Bis zu 90 Prozent der Kunden seien Deutsche und die haben trotz der Entführungen ihrer Landsleute nicht mehr storniert als sonst. „Eine ganz normale Saison“, versichert Mughni. Die Erklärung liefert er auch gleich mit: „Die Entführten sind von ihren Entführern immer mit Respekt und als Gäste behandelt worden.“

Tatsächlich ist Entführungsopfer im Jemen bisher kein Haar gekrümmt worden – die Gastfreundschaft der jemenitischen Entführer ist inzwischen fast schon sprichwörtlich. Entführte berichten nach ihrer Freilassung von zu ihren Ehren geschlachteten Schafen und anderen freundlichen Gesten der Kidnapper. Eine französische Reisegruppe bemerkte sogar erst nach ihrer Freilassung, daß sie nicht vom Stamm eingeladen, sondern entführt worden waren. Einige Franzosen, die voriges Jahr von einem Stamm in der Region Marib entführt worden waren, schicken ihren Entführern bis heute Grußkarten über die französische Botschaft in Sanaa.

Als ein „eigenwilliges Kommunikationsmittel“, bezeichnet der im Jemen lebende französische Politologe Renaud Detalle die im Land weitverbreitete temporärere Freiheitsberaubung von Touristen. Mit der letzten Entführung von vier Deutschen im März, wollte ein Stamm von der Zentralregierung in Sanaa Entschädigung für die bei einer Flut im vorigen Jahr entstandenen Verwüstungen in seiner Region erwirken. „Die dafür vorgesehenen Entwicklungsgelder waren der Regierung bereits zur Verfügung gestellt worden, aber die hatte das Geld nicht in die jeweilige Region weitergeleitet. Also beschloß der Stamm, die deutschen Urlauber zu entführen, um zu seinem Recht zu kommen“, beschreibt der Politologe der Universität Sanaa, Muhammad Abdel Malik al-Mutawakil, den Hintergrund der letzten Entführung.

Andere Male ging es um den Bau einer asphaltierten Straße oder anderer Infrastrukturmaßnahmen. In einem Fall hatte der jemenitische Präsident ein Stück Land an einen seiner Sicherheitsoffiziere überschrieben. Die ursprünglichen Besitzer setzten sich zur Wehr. Bei einer Schießerei mit Sicherheitskräften kam der Sohn des ursprünglichen Besitzers ums Leben. Darauf entführte die Familie einen Touristen, um ihr Land wiederzubekommen.

Die Hintergründe sind immer gleich: Wer gegenüber der Zentralregierung zu seinem Recht kommen möchte, entführt als ultimatives Epressungsmittel einen Ausländer. Freiheitsberaubung als politisches Instrument hat im Jemen eine lange Tradition. Früher ließ die Zentralregierung die Söhne der verschiedenen Stammes-Scheichs als Druckmittel gegenüber den jeweiligen Stämmen als Geiseln nehmen. Solange die Stämme sich nicht erhoben, wurden die Entführten gut behandelt und sogar besonders ausgebildet. Deren Geschichten sind in Romanen wie „Die Geisel“ von Seid Muti Damadsch festgehalten.

Heute ist es die Zentralregierung, die mehr oder weniger machtlos der Geiselnahme seiner ausländischen Gäste durch die Stämme zusehen muß. Etwa im Fall der letzten Entführung der Deutschen. „Der Stamm war zu groß und sein Einflußgebiet zu nahe der Hauptstadt“, erklärt der französische Politologe Detalle die Grenzen der Regierung.

Westliche Diplomaten vermuten hinter den Entführungen noch ein anderes Motiv. Jemens omnipotenter Nachbar, Saudi-Arabien, fürchtet einen allzu starken Jemen und ist stets auf eine Destabilisierung des südlichen Nachbarlandes bedacht. Manche der Stämme im Norden sollen gelegentlich von saudischer Seite in ihren Entführungsabsichten „bestärkt“ worden sein. Beweisen konnte das allerdings bisher niemand.

Mit oder ohne saudischer Mitwirkung – Entführungen von Touristen dürften im Jemen weiterhin an der Tagesordnung bleiben. Die Zentralregierung des jemenitischen Präsidenten Ali Abdallah Salih hängt vom Wohlwollen der Stämme ab. „Ein verschärftes Vorgehen gegen die Stämme würde Salihs eigene Position unterwandern“, erklärt al-Mutawakil die bisherige Zurückhaltung der Regierung in Sachen Entführungen. „Das ist eben der Preis dafür, daß sich die Regierung mit Hilfe des Stammessystems an der Macht hält“, stimmt Detalle zu.

Derweil witzeln bereits einige Reiseagenturen in Sanaa, in Zukunft „zwei Tage Geiselhaft mit romantischem Hammelgrillen unter freiem Himmel“, fest in ihr Tourismusprogramm aufnehmen zu wollen. Haynes Mahonney, ehemaliger Chef des US-Informationsdienstes der US-Botschaft in Sanaa, der vor vier Jahren selbst das Opfer einer Entführung wurde, faßt das in einen Satz zusammen: „Wenn du jemals entführt werden solltest, dann ist der Jemen der richtige Platz dafür.“

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