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Die SPÖ hat den Rechtsruck längst vollzogen

■ Österreichs Sozialdemokraten überlegen, was sie von New Labour lernen können. Der SPÖ stellt sich die Frage, was sie dem abwandernden Proletariat bieten kann

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas war kurz vor dem 1. Mai in London, um dort den Wind der Veränderung zu schnuppern. „New Labour hat ein Lebensgefühl getroffen“, konstatierte er nach seiner Rückkehr. Spätestens seit der triumphalen Rückkehr der britischen Arbeiterpartei wird auch bei Österreichs Sozialdemokraten diskutiert, ob und was man von Tony Blair lernen kann.

Der von den US-amerikanischen Großparteien gepflegte Show-Stil, der die Inszenierung über die Aussage stellt und politische Inhalte durch Tiermaskottchen ersetzt, liegt längst voll im Trend. Tony Blairs Erfolg diente nur als Bestätigung dafür, daß die Verflachung der Wahlbotschaft Stimmen bringt. Bundeskanzler Viktor Klimas verbindliches Zähnefletschen hat nach dem Abgang des nüchternen Bankers Franz Vranitzky im vergangenen Januar bereits einen neuen Stil in die Politik gebracht, dessen Erfolg von den Umfragen bisher bestätigt wird.

Den von New Labour vorexerzierten Rechtsruck haben Österreichs Sozialdemokraten längst selber vollzogen. Allerdings nicht aus den Tiefen des Oppositionsdaseins, sondern unter dem Druck der Realpolitik auf den Höhen der Macht. In der alten Kaiserstadt geht es nicht darum, die Macht nach langer Abstinenz zurückzuerobern, sondern die immer stärker erodierende Machtbasis neu zu zementieren. Anders als in England konnten die Sozialdemokraten die Schmutzarbeit des sozialen Kahlschlags nicht dem Klassenfeind überlassen, sondern haben selber führend mitgewirkt.

Obwohl die Aggressivität des britischen Neoliberalismus schwerlich mit der hierorts angewandten Taktik des schleichenden Sozialabbaus vergleichbar ist, wäre es für die SPÖ eigentlich wichtiger, aus den Fehlern der gedemütigten Tories zu lernen. Doch der Gedanke, sich mit dem Thatcherismus zu vergleichen, liegt Wiens Sozialdemokraten fern. Dazu kommt, daß Gewerkschaften im Nachkriegs-Österreich nicht für den Klassenfeind stehen, sondern im Rahmen der Sozialpartnerschaft Teil des Systems sind. Die durch Streiks verlorene Arbeitszeit wird in Minuten gemessen.

Die traditionell sozialistischen Wähler sind nicht zu der mit Britanniens Konservativen vergleichbaren Österreichischen Volkspartei (ÖVP) abgewandert, sondern zur viel weiter rechts stehenden Freiheitlichen Partei des Jörg Haider, der mit seinen vollmundigen Sprüchen die Volksstimmung gleichermaßen interpretiert und manipuliert.

Wird die SPÖ zu einer neuen Protestpartei?

Auch die ÖVP, die von den Sozialdemokraten nach dem Verlust der absoluten Mehrheit vor zwölf Jahren als Juniorpartner in einer großen Koalition an die Brust genommen wurde und sich daher schlecht als Protestpartei aufspielen kann, verliert immer mehr Stammwähler an die dynamisch wirkenden Freiheitlichen.

Für die SPÖ stellt sich also die Frage, was man dem abtrünnigen Proletariat bieten kann. Die logische Antwort wäre ein Linksruck, der sich zumindest in der Rhetorik der Politiker bereits vollzieht. Nachdem sich die SPÖ vor einigen Jahren schamhaft von der „Sozialistischen Partei“ zur „Sozialdemokratischen Partei Österreichs“ umgetauft hat, scheuen sich heute immer weniger Spitzenpolitiker, gegen „Kapitalismus“ und „Neoliberalismus“ zu wettern und „das System“ für alles Übel verantwortlich zu machen. Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas will die SPÖ gar zu einer neuen Protestpartei machen.

Das klingt zwar im Zusammenhang mit der verknöcherten Regierungspartei, die seit 27 Jahren den Bundeskanzler stellt, etwas skurril, doch Alfred Heinrich, Mitbegründer einer linken Initiative innerhalb der SPÖ, findet diese Vorgabe gar nicht so absurd: „Da können wir durchaus mitgehen.“ Heinrich wünscht sich eine stärkere Abgrenzung vom konservativen Koalitionspartner und eine Rückbesinnung auf die traditionellen Werte der Sozialdemokratie. „Das heißt jetzt nicht, daß Antworten, die vor Jahrzehnten richtig waren, heute unbedingt auch richtig sein müssen.“ Ralf Leonhard, Wien

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