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Schmierentheater in der Schilleroper

Verwaltungsgericht bewahrt afghanische Flüchtlinge vor dem maroden Bau  ■ Von Heike Haarhoff

Die Schilleroper auf St. Pauli bleibt bis auf weiteres unbewohnt. Die 88 afghanischen Flüchtlinge aus der Unterkunft Amsinckstraße, die der Bezirk Mitte gegen ihren Willen noch in dieser Woche in das marode Bauwerk an der Lerchenstraße einweisen wollte, müssen vorerst nicht umziehen. Das hat das Verwaltungsgericht Hamburg vorigen Freitag in einer erst jetzt bekannt gewordenen Eilentscheidung beschlossen.

Der Bezirk müsse erstmal vor Gericht nachweisen, daß das ehemalige Varieté-Theater mit seinen schmalen Fluchtwegen und brüchigen Treppen und Wänden baulich und brandschutztechnisch als Unterkunft geeignet sei. Das hatten Flüchtlingsrat und die 88 Asylbewerber bestritten und vor Gericht Widerspruch gegen den angeordneten Umzug eingelegt. Auch die Oppositionsparteien GAL und CDU halten die Schilleroper für „menschenunwürdig“; Sozialdezernentin Ute Florian will die Zwangseinweisung verhindern, weil es 350 freie Plätze im Bezirk Mitte und durchweg bessere Unterkünfte gebe.

Am 29. Mai wird das Verwaltungsgericht über die weitere Nutzung der Schilleroper öffentlich verhandeln. Zur Stellungnahme geladen ist dann auch Bezirksamtsleiter Rolf Miller (SPD). Der hatte den Gerichtsbeschluß in der Bezirksversammlung am späten Dienstag abend zähneknirschend zur Kenntnis genommen: „Niemand wird gezwungen werden, in die Schilleroper zu gehen“, versprach er. Die augenscheinlich frisch renovierten Räume, unter deren strahlender Tapete es weiter schimmeln und vor Ungeziefer nur so strotzen soll, wollen Miller und die regierende SPD-Mitte jedoch weiterhin für „Freiwillige“anbieten.

Wer sich weigere, werde eben anderweitig untergebracht, habe aber „keine Chance, gemeinsam untergebracht zu werden“, so Miller. Den afghanischen Flüchtlingen aus der Amsinckstraße ist das nur recht: Sie wollten vor allem bessere Wohnverhältnisse, erklärte ein Sprecher gestern morgen gegenüber der taz. Die Familien müßten nicht unbedingt in einer großen Gruppe zusammenleben.

Die städtische Unterkunft Amsinckstraße wird zum 30. Juni geschlossen. Bis dahin muß eine Lösung her. Den Bezirk plagen derweil noch andere Sorgen: Er hat die Schilleroper bereits seit April für monatlich 50.000 Mark von Eigentümer Eberhard Ehrhardt angemietet. Der Vertrag läuft über zwei Jahre. Wie und ob daraus herauszukommen ist, ist völlig unklar. Wer den drohenden Millionenverlust tragen soll, ebenso. „Das ist Geldverschwendung und ein Fall für den Rechnungshof“, wettert CDU-Fraktionschef Hartwig Kühlhorn. Bezirkschef Miller war gestern für eine Stellungnahme für die taz nicht zu erreichen.

„Wir haben die Schilleroper nie für gut befunden“, die Sprecherin der Hamburger Sozialbehörde, Petra Bäurle, weist den Schwarzen Peter dem Bezirk zu. Was die Sprecherin nicht weiß: Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) höchstselbst soll nach einem Telefonat mit Amtsleiter Miller die Anordnung ihrer Behörde, die Schilleroper nicht anzumieten, widerrufen haben. So steht es handschriftlich auf einem Schreiben der Sozialbehörde an das Bezirksamt Mitte vom 20. Februar 1997, bestätigt CDU-Chef Kühlhorn nach Akteneinsicht. Die Beweggründe hierfür bleiben das Geheimnis der Senatorin.

„Der Bezirk ist verantwortlich“, auch die Stadtentwicklungsbehörde will sich lieber nicht einmischen. Ihr gehe es nur darum, so Sprecher Bernd Meyer, daß die Schilleroper – „wie laut Sanierungsziel festgelegt“– in ein Stadtteilzentrum umgewandelt werde. Damit aber ist auch künftig nicht zu rechnen: Anstatt hierüber einen rechtsverbindlichen städtebaulichen Vertrag mit dem Eigentümer zu schließen, ließen sich Miller und Gero im vergangenen Herbst auf eine schwammige Absichtserklärung ein, die Ehrhardt nur zu gutem Willen verpflichtet.

In den Schlamassel einschalten will sich jetzt Justiz- und Bezirksstaatsrat Hans-Peter Strenge (SPD): Er will bis morgen nachmittag vom Bezirk einen Bericht über die Vorgänge in der Schilleroper haben.

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