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Arbeit + Konsum = Leben

Wie Musterstädte vom Reißbrett Herberge eines neuen Menschen sein sollten. Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin  ■ Von Thomas Loy

„Stadt der großen Zuversicht“ titelte die Neue Berliner Illustrierte 1954 in einer Beilage über das neu errichtete Stalinstadt, besser bekannt als Eisenhüttenstadt. Darunter ein Bild mit fünf blondbeschopften Babys. In der „ersten sozialistischen Stadt Deutschlands“ sollte modellhaft vorexerziert werden, wie der sozialistische Mensch zu leben und zu arbeiten hätte. Nach der Errichtung des Rohstahlwerkes und zweier Mustersiedlungen mit „Arbeiterpalästen“ à la Stalinallee ging den Planern das Geld aus.

Am 26. Mai 1938 legte Adolf Hitler vor 60.000 Volksgenossen den Grundstein für das Volkswagenwerk, an das sich die „nationalsozialistische Musterstadt“, die „Stadt des KdF-(Kraft durch Freude)Wagens“ anschließen sollte, besser bekannt als Wolfsburg. Der neue nationalsozialistische Mensch sollte modern und naturnah wohnen. 15 Monate später begann der Krieg. Das Werk war fertig, die Stadt kaum begonnen – statt in einer Mustersiedlung fanden sich die (Zwangs-)Arbeiter in Baracken wieder. Zwischen diesen zwei bedeutenden deutschen Stadtgründungen im 20. Jahrhundert liegen zwölf Jahre, ein Weltkriegsinferno und die Trennungslinie zwischen zwei antagonistischen Weltideologien, doch Eisenhüttenstadt und Wolfsburg verbindet viel mehr, als sie trennt.

„aufbau west – aufbau ost“ ist der Titel der neuen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, ein weiterer Versuch, deutsch-deutsche Geschichte in der Gegenüberstellung besser zu verstehen. Und das gelingt, mal abgesehen von einer Materialüberfüllung mit 800 Objekten, die den Betrachter öfter in Verwirrung stürzt. Die direkte räumliche Konfrontation mit Propaganda West und Ost, mit Lebenswirklichkeit und Arbeitswelt, Architektur und Stadtplanung in Bild und Schrift und Film offenbart entlarvend Parallelen und Ähnlichkeiten ideologischer Vorgaben und ihres Scheiterns oder Abarbeitens an den Alltagsbedürfnissen der Menschen und den finanziellen Möglichkeiten des Systems.

Beide Städte kultivierten bewußt oder unbewußt das Idealbild des Industriearbeiters, der in einer auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Stadt seinem Recht auf komfortables Wohnen und erholsame Freizeit entsprochen sieht. An ihnen läßt sich die „Geschichte des industrialisierten deutschen Menschen“ ablesen, sagt Museumsdirektor Christoph Stölzl. Arbeit plus Konsum gleich Leben. In Ost kümmerte sich die Partei um die richtige Einstellung, in West Reklame und Medien.

Der Städtevergleich offenbart amüsante Querverbindungen. Während im Osten staatlich beauftragte Möbelgestalter ihren Bürgern vergeblich „nationales Erbe“ im Stile des Barock und Rokoko schmackhaft zu machen suchten, um sich von der im Westen propagierten Nüchternheit und Sachlichkeit abzusetzen, versuchten die westlichen Möbelhersteller unter größten Mühen, ihren Kunden die Vorliebe für alte Ziermöbel auszutreiben. Schließlich führte die industrielle Massenproduktion auf beiden Seiten – auch in der Architektur – zu einem Einheitsdesign, das nur noch unterschiedlich angepriesen wurde.

Das Modell Eisenhüttenstadt mit seinen edel eingerichteten Arbeiterwohnungen und der guten Versorgung sollte zeigen, daß der Sozialismus im Wettlauf um die Zukunft den Westen überholt hatte. Doch es blieb ein unfertiges Modell, dessen Ausbau sich immer weiter verzögerte. Das Modell Wolfsburg, von den Nazis konzipiert, konnte – so paradox das klingt – erst unter den Bedingungen der Marktwirtschaft erfolgreich sein. Das VW-Werk und die mit seiner Hilfe angestrebte Massenmobilisierung hätte unter den wirtschaftlichen Bedingungen des Nationalsozialismus „in einem Fiasko“ geendet, schreibt der Historiker Hans Mommsen im Katalog.

Diese überraschende Erkenntnis wirft die alte Historikerdebatte um Kontinuität und Diskontinuität des Dritten Reiches wieder auf. Im Falle Wolfsburgs fällt die Antwort relativ klar aus. Eine Stunde Null hat es nicht gegeben. Das riesige VW-Werk war 1945 nur teilweise beschädigt aus dem Krieg hervorgegangen, wurde nicht demontiert und produzierte als staatlicher Betrieb schon bald für den Weltmarkt.

Der erste Nachkriegsgeneraldirektor, Heinrich Nordhoff, vormals „Wehrwirtschaftsführer“, regierte absolut. Das Unternehmen arbeitete nicht unternehmerisch gewinnorientiert, sondern gebar sich eher als Kooperative zum Wohle der Arbeiter und der Käufer, die trotz eines Nachfrageüberhangs mit Preissenkungen bedacht wurden.

Auch in der Architektur der Stadt überwog die Kontinuität. Alte Namen tauchten bald wieder auf. Wolfsburg lebte in den 50er Jahren wie die gesamte Republik im autoritären Denken des Dritten Reiches fort, verstand sich dagegen wie Eisenhüttenstadt als junge, der Zukunft zugewandte Stadt.

Heute ringen die Städte mit Identitätsproblemen. Auto- und Stahlstadt zu sein, reicht für ein positives Außenimage nicht aus. Die Städte haben kein Zentrum, wirken abweisend, hängen am Tropf des Großunternehmens, dem allein sie ihre Existenz verdanken, haben kaum historische Substanz. Sie sind gewaltsam gezeugte Kinder, vaterlos.

„aufbau west – aufbau ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit“ im Deutschen Historischen Museum Berlin. Bis 12.8., Eintritt frei. Der Katalog kostet 39,50DM

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