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■ Der grüne Grundwiderspruch ist noch immer ungelöst: Kann man Ökologie und Sozialpolitik versöhnen? Plädoyer für einen Mittelweg zwischen Mainstream und MasterplanDie Illusion unendlichen Wachstums

„Von allem muß es immer mehr geben.“ Zu dieser Marktdynamik, beklagte Marion Gräfin Dönhoff kürzlich, gehört das Menschenbild des „homo oeconomicus, der mit unfehlbarer Rationalität seinen Gewinn optimiert. Von Ethik redet kein Mensch.“ Dafür alle vom Wettbewerb: „Es kommt darauf an, besser zu sein als die anderen.“

Kaum jemand bestreitet die ökonomische Effizienz des Wettbewerbssystems. Nur: Der Motor dieses Systems, so dämmert es nicht nur Frau Dönhoff, ist eine Maßlosigkeit, die dazu führen kann, daß Markt zum catch as catch can entartet und „eines Tages ebenso zusammenbricht wie das sozialistische System“. Tendenzen dazu werden allenthalben festgestellt: Heide Simonis spricht vom „sozialen Zerfall“, Wolfgang Schäuble vermißt einen „hinreichenden Wertekonsens in der Gesellschaft“.

Mit der schrankenlosen Liberalisierung und Deregulierung der Märkte kommt abhanden, was die Gesellschaft zusammenhält: der soziale Kitt, der Vorrat an grundlegenden Gemeinsamkeiten und verbindenden Werten, deren Verlust kein shareholder value ersetzen kann. Eine Wertediskussion soll nicht Vergangenes nostalgisch verklären; vielmehr muß sie um die Frage gehen: Von woher soll sich neu begründen, was der Kommunitarist Amitai Etzioni den „Wiederaufbau einer moralischen Infrastruktur“ nennt? Und: Wie kann diese politisch wirksam werden?

Vieles spricht für die These: Das Grundprinzip kapitalistischen Wirtschaftens, nämlich der Wettbewerb von Privaten, hat in der Konkurrenz der Systeme gesiegt – und droht zugleich zu seinem eigenen Ende zu führen. Denn es impliziert eine katastrophale Illusion: die des unendlichen Wachstums.

Dabei wissen wir längst: In einer endlichen Welt ist Dauerzuwachs unmöglich. Unbegrenzt steigende Ansprüche, ob an Konsum oder öffentlicher Versorgung, führen nicht nur zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch zum Ruin der Haushalte und zur finanziellen Erdrosselung künftiger Generationen. Selbst begrenztes Wachstum kann die Massenarbeitslosigkeit nicht beseitigen, denn steigende Produktivität frißt Arbeitsplätze.

Trotzdem wird wieder Wachstum gepredigt („Wachstumsförderungsgesetz“) und dem totalen Wettbewerb Hosianna gesungen. Da drängt sich eine pathologische Erklärung auf: Wachstumsglaube als gigantische Negation der Endlichkeit, als kollektive Verdrängung des Todes, die ironischerweise letale Konsequenzen hat.

Wertorientierte Politik muß an der Bewußtmachung dieser Verdrängung ansetzen, braucht deshalb aber nicht auf die Vorteile des Wettbewerbs zu verzichten. Denn Wettbewerb ist kein Ziel und schon gar kein Wert an sich, sondern ein Instrument. Es geht also darum, die Konkurrenzziele neu zu bestimmen. So ist zum Beispiel unbegrenzter Verbrauch, also schlichte „Ernte“, nur verantwortbar, wo unerschöpflicher Vorrat herrscht. Einziges Beispiel dafür ist die Energie der Sonne. Konsequenz: den Energiemarkt organisieren als Wettbewerb im Übergang vom fossilen ins solare Zeitalter. Alle anderen, endlichen Ressourcen müssen möglichst schonend behandelt, das heißt optimal und verlustfrei genutzt werden. Wettbewerbsziel: mehr technische Effizienz.

Doch alle Effizienzhuberei kann nicht über den Zweifel hinweghelfen, ob die so erreichbaren Einsparungen auch nur annähernd ausgleichen würden, was die Globalisierung unseres Anspruchsniveaus weltweit an zusätzlichem Ressourcenverbrauch verursachen wird. Es bleibt die Frage der Suffizienz: Wieviel ist genug – an Mobilität, an Aufwand, an Konsum? Wieviel ist verantwortbar? Eine schlichte, in der Politik gleichwohl höchst ungeliebte Frage, denn Verzicht schafft keine Arbeitsplätze. Aufrufe zu Bescheidung bringen keine Wählerstimmen.

Man mag einwenden: Dies ist „nur“ ein Problem der Ökonomie. Dort feiert der Wachstumsfetischismus vielleicht fröhliche Urstände. Aufrechten ÖkologInnen dagegen ist das Wissen um die Grenzen doch längst Gemeinplatz.

In Wahrheit haben es Ökosoziale mit diesem Widerspruch nicht leichter als andere. Der Grundsatzstreit um einen Militäreinsatz in Bosnien ging um den programmatischen Widerspruch zwischen „Gewaltfreiheit“ und „Schutz der Menschenrechte“. Eine vergleichbare Spannung gibt es auch zwischen den beiden anderen Grundsäulen grüner Politik: „ökologisch“ und „sozial“. Grüne Umweltpolitik war immer wachstumskritisch, linke Sozialpolitik demgegenüber wachstumsabhängig (uneingestandenermaßen). „Die Wachstumsraten, die erforderlich sind, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, sind ökologisch ein Desaster“, sagt Greenpeace- Chef Thilo Bode. Die Globalisierung bringt diesen Widerspruch verschärft zum Vorschein – als Konflikt zwischen umwelt- und sozialpolitischen Zielen, zwischen Nachhaltigkeit und steuerfinanzierter Grundsicherung. Es steht also erneut eine Grundsatzdiskussion an, ebenso schwierig und notwendig wie die Bosnien-Debatte.

Alte Ideologien und hergebrachte Rechts-links-Muster taugen nicht dazu, die neue Wirklichkeit zu erklären, geschweige denn zu verändern. Arbeits-, Steuer- und Sozialsysteme unabhängig von Wachstumsraten neu zu konzipieren, dafür gibt es im nationalen (zum Beispiel die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“) wie im internationalen Raum (zum Beispiel Jeremy Rifkins „Ende der Arbeit“) erst wenige konkrete Ansätze. Unsere Aufgabe ist es, diese miteinander zu konfrontieren und weiterzuentwickeln. Erfurter Erklärungen leisten dafür wenig.

Es ist Zeit, neben den Grenzen des Wachstums auch die ethischen Grenzen des Wettbewerbs zu thematisieren. Zum Beispiel, daß Konkurrenz ohne Kooperation monströs ist. Und daß Wettbewerb als ausschließliches, zweckrationales Selektionskriterium Vielfalt, Spiel und letztlich Freiheit beschneidet. Erst Variabilität macht Leben entwicklungsfähig und lebenswert.

Ökosoziale Politik braucht substantielle Begründung. Sonst taumelt sie zwischen Mainstream, Macht und Mehrheit auf der einen und missionarischem Masterplan zur Weltrettung auf der anderen Seite hin und her, immer in der Gefahr zu verlieren – entweder ihr Anliegen oder ihre Durchsetzungsfähigkeit. Ali Schmidt

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