: Die langen Flure der Senatsverwaltung
■ Den Behindertentheatern "Thikwa" und "Ramba Zamba" geht das Geld aus - die Rettungsaktion beginnt reichlich spät
Es gibt in Berlin zwei Theatergruppen, die mit behinderten Menschen arbeiten: Das „Thikwa Theater“ in Kreuzberg und das Theater „Ramba Zamba“ des Vereins Sonnenuhr im Prenzlauer Berg. Beide Gruppen machen seit vier Jahren professionelles Theater. Ramba Zamba hat mittlerweile fünf große Premieren aufzuweisen, Thikwa drei Produktionen. Spätestens Ende dieses Jahres dürfte allerdings auf beiden Probebühnen der Vorhang für immer fallen: Den Gruppen geht das Geld aus.
Am Donnerstag trafen sich in der Humboldt-Uni auf Einladung des „Dahlemer Forums“ Vertreter von Thikwa und Sonnenuhr mit sogenannten „Verantwortungsträgern“: Politikern und Verwaltungsfachleuten. Nach einem fröhlichen Vorspiel – alle Beteiligten diskutierten in munterster Einigkeit darüber, was Kunst sei und was nicht – zeigte sich umgehend die eigentliche Crux der Tragödie „Berliner Behindertentheater“: daß es für eine heilende Katharsis, für einen Ausweg aus dem finanziellen Schlamassel bereits reichlich spät ist.
Thikwa wird zur Zeit noch – als Modell für alternative Behindertenarbeit – über das Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit finanziert. Körperlich und geistig Behinderte erhalten in der Werkstatt in der Oranienstraße eine künstlerische Ausbildung: Ein einmaliger Vorgang, da solcherlei Aktivitäten für Behinderte bisher als Freizeitbeschäftigung galten – und damit nicht bezahlt wurden. Der Modellversuch läuft am 31. Dezember dieses Jahres aus.
Der Verein Sonnenuhr – der neben der Theatergruppe auch andere künstlerische Arbeit anbietet – war bisher solch ein reines Freizeitangebot und finanzierte seine Mitarbeiter über Gelder von der Senatsverwaltung für Soziales und durch ABM-Stellen. Die ABM laufen aus, Sonnenuhr-Leiter Klaus Erforth sieht die Arbeit des Vereins von August an gefährdet.
Beide Gruppen haben beim Landesarbeitsamt beantragt, als Behindertenwerkstätten anerkannt und entsprechend gefördert zu werden. Der rebellische Sonnenuhr-Verein, der sich vehement gegen eingefahrene therapeutische Ansätze wehrt und „Kunst ohne Rechtfertigung“ machen will, hatte bisher keinen Erfolg: Das Schwerbehindertengesetz setzt dem freien Kunstwillen ein hartes Reglement entgegen. Eine Vertreterin des Arbeitsamtes machte während des Dahlemer Forums allerdings deutlich, daß die bisherige Ablehnung des Antrags noch nicht endgültig sei. Bei einer Überarbeitung der Konzeption sei die Werkstattförderung durchaus möglich. Immerhin: ein Gesprächsangebot.
Thikwa bekam fünfzehn Werkstattplätze genehmigt. Damit wären jedoch nur die laufenden Arbeiten gesichert, nicht die Theaterprojekte. Dafür müßten die beiden Behindertentheater zusammen einen Betrag von etwa einer Million Mark jährlich auftreiben, so eine grobe Schätzung. Gemessen an den Etats der Hochkultur ist das nicht viel Geld. Und die Platzausnutzung des Theaters Thikwa, auf die Geschäftsführer Rainer Esche hinwies, dürfte den einen oder anderen Großtheater-Intendanten neidisch machen: durchschnittlich 91 Prozent.
Weder die Senatsverwaltung noch die Vertreter der Fraktionen im Abgeordnetenhaus stellten auf der Veranstaltung am Donnerstag den künstlerischen und therapeutischen Wert der Arbeit von Thikwa und Sonnenuhr in Frage. Allerdings bietet die Kombination von Kunst und Therapie eine beliebte Ausflucht: Wirklich zuständig fühlt sich dafür niemand, Verantwortung wird mit leichter Hand durch die langen Flure der politischen Bürokratie hin- und hergeschoben. Von der Berliner Senatsverwaltung für Soziales zur „Kultur“ und zurück, zum Beispiel.
Für dieses traurige Spiel, das dürfte allen Teilnehmern des Dahlemer Forums klar geworden sein, ist keine Zeit mehr. Wolfgang Knapp, Professor an der Hochschule der Künste, brachte das in punkto Finanzen vielleicht entscheidende Argument: Berlin müsse erkennen, daß ein erweitertes Kulturangebot – und dazu gehört auch das Behindertentheater – ein Wirtschaftsfaktor ist. Kolja Mensing
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