piwik no script img

Auf den Spuren von Ikarus

■ Ein Gießener Ingenieur baut das erste solarbetriebene Luftschiff - und startete es in Australien. "Die deutsche Forschung ist Spitze, die Vermarktung katastrophal"

Nach dem Mythos von Daedalus und Ikarus wurde der uralte Menschheitstraum vom Fliegen dem Sohn zum Verhängnis: Trotz aller Warnungen des Vaters flog Ikarus der Sonne so weit entgegen, daß das Wachs der Flügel schmolz. Ingolf Schäfer, Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik, möchte den Mythos umkehren. Die Sonne soll den Transport nicht sabotieren, sondern ermöglichen.

Angefangen hat alles auf einem Bauernhof in Vasbeck, dort, wo Ingolf Schäfer aufwuchs. Weil ihm seine Eltern die Raketen zu Sylvester verboten, mischte sich Klein Ingolf sein Schwarzpulver selber zusammen und ließ damit Bier- und Colaflaschen luftige Sätze machen. Von da ab war es nur noch ein kleiner Sprung zum Studium der Luft- und Raumfahrttechnik. Als frischgebackener Dipl.-Ing. übernahm Ingolf Schäfer die Projektleitung beim Bau eines Solarluftschiffes – des weltweit ersten.

Das stand allerdings unter einem schlechten Stern. Bei seinem ersten Einsatz auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung 1993 brachte ein Gewitter die selbstgebaute Halle zum Einsturz und begrub das Getüm namens „Lotte“ unter sich. Pech für den 16 Meter langen und 100 Kilogramm schweren Solar-Walfisch mit der menschenhaardicken heliumgefüllten Außenhaut.

Mittlerweile bearbeitet Schäfer als selbständiger Ingenieur in Gießen Aufträge aus dem Modell- und natürlich dem Luftschiffbau. Die Begeisterung für solarbetriebene Luftschiffe hat den 30jährigen nie losgelassen. Vor allem, als die „World Solar Challenge '96“ in Australien erstmals auch sonnengetriebene Luftschiffe zuließ. Da das Luftfahrtbundesamt bei allen Fliegern über 20 Kilogramm Probleme hinsichtlich der Genehmigung macht und das gute Schiff in einen Standard-Lkw passen sollte, war schon vorher gerechnet und entwickelt, in der Allendorfer Wohnung die Leitwerke, in der Tiefgarage schließlich das ganze Luftschiff zusammengesetzt worden. In 1.200 Arbeitsstunden ward „Lotte '96“ geboren, unterstützt durch Sponsoren von Lufthansa bis Stadtwerke Gießen. Der Zwang zur Mini- und Optimierung hatte mehrfach Bestmarken für „Lotte“ erbracht: Antrieb, Leichtbau, Energieeffizienz, Flugleistungen und vor allem der Kostenrahmen von 30.000 Mark sind weltweit Spitze.

Ende Oktober hieß es dann: Auf nach Australien. Per Internet hatten vorher Solarluftschiff-Kollegen aus den USA und Japan bedauernd abgesagt. Mehrere Pannen beim Entladen und dem Transport zwangen die fünfköpfige Crew zu Reparaturnachtschichten, ein starker Gegenwind zu Bescheidenheit: Statt der 3.000 Kilometer langen Strecke von Dawson durch die australische Wüste nach Adelaide beschränkte sich die mit einer Fernsteuerung gelenkte Sonnen-Lotte mit dem 800-Gramm-Motor (2,8 KW Spitzenleistung) auf majestätische Rundflüge an den wichtigsten Wettkampfstationen. Nicht nur bei den Kids avancierte das zehn Meter lange Luftschiff zum Liebling.

Das Aeromobil ist mittlerweile per Ozeandampfer und Rheinschiff heimgekehrt. Die gute Nachricht des Erfolges mit dem Solarluftschiff überbrachte Ingolf Schäfer auch den Bonner Forschungspolitikern. Das Forschungszentrum Jülich nämlich hatte im Auftrag des Forschungsministeriums schon 1992 vorgerechnet, daß solarbetriebene Luftschiffe schwerlich funktionieren könnten. Darüber kann Schäfer heute noch lachen: „Die deutsche Forschung in dem Bereich ist eigentlich Spitze, die Vermarktung aber eine Katastrophe“, kommentiert er die verpaßten Chancen seitens einer risikoscheuen Industrie und einer lustlosen Politik.

Dabei zeichnen sich laut Schäfer schon Nutzungsmöglichkeiten ab: Eine CargoLifter AG mit Sitz in Wiesbaden – Mitglied Ingolf Schäfer – will beim Transport sehr großräumiger Güter beispielsweise im Kraftwerks- und Anlagenbau die Lücke zwischen Ozeanschiffen und Flugzeug per Luftschiff schließen. Ein Zeppelin brauchte vor Jahrzehnten drei Tage über den Atlantik und kam fast auf die Stunde genau an.

Seit der Weltpremiere bei der World Solar Challenge beschäftigt den blonden Hobbytänzer die nächste Herausforderung: das historisch erste „menschtragende“ Solarluftschiff zu konstruieren, wie er politisch korrekt formuliert. Das müsse natürlich mindestens dreimal so lang sein wie das jetzige „Solar-Zäpfchen“. Da gebe es eher ein „operationelles“ als ein technisches Problem. 1,5 Millionen Sponsor-Mark und eine vierstellige Zahl von Arbeitsstunden koste das Projekt. Auch wenn sich „die Luftschiffe sehr, sehr gutmütig verhalten und noch nie jemand seekrank geworden ist“ – selber fliegen könnte Ingolf Schäfer die „menschtragende“ Lotte nicht. Ihm fehlt die Testflug-Lizenz. Und Testflieger seien noch mal eine besondere Sorte Mensch.

All das hemmt den Ehrgeiz des Konstruktions-Pioniers allerdings nicht. Der Bücherschrank in der hellen Wohnung eines Mehrfamilienhauses enthält grundlegendes Menschheitswissen zum Thema Flug & Risiko: Leonardo da Vinci, Asterix-Hefte, Umberto Eco, „30 Katastrophengeschichten“ und ein Buch über das Bermuda-Dreieck. „Bis zum Jahr 2000 kann ich es schaffen“, beharrt Schäfer auf seinem Traum. Der Erfolg wäre postum sicher eine Genugtuung für den risikofreudigen Ikarus. Richard Laufner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen