: Politische Vermummung im Parlament
■ Polizeieinsatz am 1. Mai: Innensenator weist alle Vorwürfe zurück, Opposition läßt sich nicht mit „Mißverständnissen“ abspeisen. Neue Vorwürfe gegen die Polizei von verprügeltem Kamerateam
Gestern traten Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) und Polizeipräsident Hagen Saberschinsky vor den Innenausschuß, um sich für die Vorfälle am 1. Mai zu rechtfertigen. Beide wiesen die Vorwürfe, vermummte Polizeibeamte hätten bei den Auseinandersetzungen mitgemischt, zurück und warfen der Opposition wie den Medien Stimmungsmache und Manipulation vor.
Saberschinsky erklärte: „Wir haben alle Filme angeschaut und alle Einsatzleiter befragt und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vermummung eines Beamten ein Einzelfall war.“ Dieses Verhalten werde zwar von der Polizeiführung „grundsätzlich nicht gebilligt“. Der vermummte Beamte habe aber ein Schutzbedürfnis gehabt. Es habe zuvor schon Drohungen gegen Zivilbeamte in der Szene-Zeitschrift Interim gegeben. „Es gab keinerlei Anweisung von der Polizeiführung zum Anlegen einer Vermummung“, sagte Saberschinsky weiter. Schönbohm sagte ergänzend, daß es keine genauen Einsatzbesprechungen darüber gebe, wie die szenemäßige Einsatzkleidung von Zivilbeamten auszusehen habe. Deshalb gebe es auch keine Anweisung über Motorradmasken.
Außerdem, erklärte Schönbohm weiter, würden die verschiedenen Vorwürfe unzulässig vermischt. Die Bestätigung in einem Funkprotokoll der Polizei, daß es sich bei einem Pulk von 50 Vermummten am Abend des 1. Mai in Kreuzberg zum Teil um verdeckte Polizeibeamte gehandelt habe, sei ein Mißverständnis. Ebenso als Mißverständnis wertete Schönbohm neue Indizien über die Eskalationsstrategie der Polizei. Ein Funkspruch am Humannplatz, in dem eine Einsatzstelle aufgefordert wird, den Beamten „mit der Eskalation noch ein bißchen Zeit“ zu lassen, sei ebenfalls falsch verstanden worden.
Die Opposition will sich mit diesen Hinweisen auf Mißverständnisse nicht abspeisen lassen. Der PDS-Abgeordnete Freke Over nannte das Geschehen den größten Polizeiskandal seit Jahren und forderte den Innensenator zum Rücktritt auf. Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen, nannte die Diskussion „eine Art Weißwäscherveranstaltung“ und kündigte einen Fragekatalog an den Innensenator an.
Eine weitere Frage hat inzwischen ein am 1. Mai am Mariannenplatz angegriffenes Kamerateam aufgeworfen. Ein Kameramann sagte gegenüber der taz: „Vielleicht wurden wir auch überfallen, um Beweismaterial zu vernichten. Die Polizei hatte bestimmt großes Interesse daran.“ Bislang war in der Öffentlichkeit davon ausgegangen worden, daß Autonome das Team angegriffen hatten. Barbara Junge
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