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Türkei besetzt Nordirak

Ankaras Armee dringt bis zu 200 Kilometer in die Schutzzone vor. Doch das Kämpfen überläßt sie verbündeten Kurden  ■ Von Helen Feinberg

Fast zwei Wochen nach ihrem Einmarsch in den Norden Iraks hat die türkische Armee die von den Golfkriegsalliierten geschaffene Schutzzone für die irakischen Kurden praktisch besetzt. Aus irakisch-kurdischen Kreisen heißt es, türkische Soldaten hätten die etwa 200 Kilometer von der Grenze entfernte Stadt Aqreh erreicht und an allen wichtigen Verbindungsstraßen Kontrollposten errichtet. Obwohl für die Gebiete nördlich des 36.Breitengrads seit Ende des Golfkriegs Flugverbot besteht, hat die türkische Luftwaffe ihre Bombardements in Grenznähe fortgesetzt.

Mit der Invasion ist der von den Allierten geschaffene „sichere Hafen“ zur Falle für die Kurden geworden. Der einzige Grenzübergang bei Zakho ist für den Zivilverkehr gesperrt. Auslandskontakte hat die mit Ankara verbündete Demokratische Partei Kurdistans (KDP) kurzerhand unterbunden, indem sie die mobilen Telefonstuben geschlossen hat.

In den letzten fünf Jahren ist die Türkei mehrfach in das Nachbarland einmarschiert. Anders als bei vorherigen Überfällen arbeiten die Soldaten diesmal jedoch eng mit der KDP zusammen. Während die türkischen Soldaten die strategische Kontrolle übernehmen, ist es den KDP-Einheiten überlassen, in dem unwegsamen Bergland Lager der Kurdischen Arbeiterpartei PKK aufzuspüren. In den Städten machen sie Razzien gegen mutmaßliche PKK-Sympathisanten.

Die Kämpfe haben mittlerweile auch die irakisch-kurdische „Hauptstadt“ Arbil erreicht. Nach Angaben von mehreren irakisch- kurdischen Parteien hat die von Massud Barsani geführte KDP sämtliche Niederlassungen von Organisationen geschlossen, die als PKK-nah gelten. Neben politischen Vereinigungen wurden die Wochenzeitung Welat und einige Kulturvereinigungen verboten. KDP-Verbände umstellten ihre Büros und verhafteten alle Anwesenden. Von 100 Personen fehlt seitdem jede Spur. Augenzeugen berichten von einem Massaker an Mitgliedern des Kulturvereins Mesopotamiya. Eine KDP-Miliz habe das Vereinsbüro überfallen und alle 53 Anwesenden erschossen. Ziel von Mesopotamiya ist die kulturelle Zusammenarbeit von Kurden über Landesgrenzen hinweg.

Fast zeitgleich mit dem türkischen Einmarsch hat das Bagdader Regime erneut begonnen, Kurden und Turkmenen aus den irakisch kontrollierten Städten Kirkuk und Khanaqin zu deportieren. Ausgewiesene berichten, Familien müßten sich bei der Polizei einfinden, dann würden sie auf Laster verfrachtet und erst wieder an der Grenze zu den von Kurden kontrollierten Gebieten freigelassen.

Wegen ihrer Ölvorkommen bilden Khanaqin und Kirkuk einen zentralen Konfliktpunkt zwischen dem irakischen Regime und den Kurden. Daß dort neben Kurden nun auch die turkmenische Minderheit vertrieben wird, dürfte eine Reaktion auf türkische Aktivitäten in der Region sein. Indirekt finanziert Ankara mehrere turkmenische Fernseh- und Radiostationen, die mit Filmen und Popmusik die moderne türkische Kultur in die Wohnstuben bringen.

Glaubt man türkischen Angaben, dann haben die Turkmenen in den letzten Jahren einen rasanten Zuwachs erlebt. Doch die von der Türkei finanzierten Programme kommen allen Personen zugute, die sich als angebliche Turkmenen registrieren lassen. Tausende von Kurden haben deshalb ein paar Brocken Türkisch gelernt.

Nicht nur in Bagdad haben die türkischen Aktivitäten im Norden Iraks Alarm ausgelöst. Angesichts der vermehrten Zusammenarbeit zwischen Israel und der Türkei befürchten Syrien und Iran, daß die jetzige Invasion auch dazu dient, ihre eigene Position in der Region zu schwächen. Iran hat in der vergangenen Woche verstärkt Militär an seiner Grenze aufmarschieren lassen. Die Soldaten sollen verhindern, daß türkisches Militär fliehende PKK-Kämpfer bis auf iranisches Gebiet verfolgt. Die syrische Staatsführung kündigte an, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak zu normalisieren und die Grenzen wieder zu öffnen.

Aus dem Lager der irakisch- kurdischen Opposition kommt dagegen nur verhaltene Kritik an dem türkischen Einmarsch. Dschalal Talabani forderte die türkische Regierung auf, sich für Frieden zwischen seiner PUK und der gegnerischen KDP einzusetzen. Dann wäre die Sicherung der Grenzen kein Problem. Doch in Ankara scheint man andere Pläne zu haben. Erklärungen des türkischen Generalstabs lassen darauf schließen, daß die Militäroperationen so lange fortgesetzt werden sollen, bis Barsani und seine KDP die Region vollständige kontrollieren. Bis dahin hat man sich international möglicherweise an die Besetzung gewöhnt.

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