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Bayern plustert sich mächtig auf

Mit rechtlichen Tricks versucht der Freistaat zwei Abtreibungsärzte loszuwerden. Sie haben beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingelegt, die heute verhandelt wird  ■ Aus Freiburg Christian Rath

In Bayern galoppiert die Sünde. Denn hier stieg in den vergangenen Jahren die Zahl der Abtreibungen stark an. Schuld, so die bayerische Regierung, tragen die beiden Ärzte Friedrich Stapf und Andreas Freudemann mit ihren spezialisierten Abbruchkliniken in München und Nürnberg.

Im letzten Sommer bereits erließ der CDU-Staat eine „Lex Stapf und Freudemann“. Mit rechtlichen Tricks sollen die beiden aus Bayern vertrieben werden, ab 1. Juli droht ihnen sogar Gefängnis. Die Mediziner haben hiergegen Verfassungsbeschwerde erhoben und eine einstweilige Anordnung beantragt. Heute wird in Karlsruhe verhandelt, ob das bayerische Gesetz vorläufig auf Eis gelegt werden muß.

Mit zwei Tricks operiert die Landesregierung: Nur noch 25 Prozent ihrer Einnahmen dürfen bayerische Ärzte mit Abtreibungen verdienen. Betroffen sind vor allem die Mediziner Stapf und Freudemann, die in ihren Kliniken ausschließlich Abbrüche vornehmen. Stapf trifft eine weitere Schikane. Nur noch Gynäkologen sollen künftig in Bayern Abtreibungen vornehmen dürfen – und Friedrich Stapf ist Chirurg. Früher waren Kliniken à la Stapf und Freudemann in Bayern erst gar nicht möglich. Das Bundesgesetz überließ es den Ländern, entsprechende Genehmigungen zu erteilen oder, so in Bayern und Baden- Württemberg, zu verweigern. Seit dem Abtreibungskompromiß von 1992 ist der Landesvorbehalt allerdings abgeschafft. Jetzt ist sogar eine flächendeckende Versorgung mit ambulanten Abtreibungsmöglichkeiten gefordert. Ein Schwangerschaftsabbruch soll inklusive An- und Abreise höchstens einen Tag Anwesenheit erfordern. Der Staat nimmt Strafdrohung und Schikanen zurück, so die Logik der Reform, damit sich die abtreibungswillige Frau eher auf die ergebnisoffene, aber dem „ungeborenen Leben“ verpflichtete Zwangsberatung einlassen kann.

Bayern hat diese Reformlogik offensichtlich immer noch nicht akzeptiert. CSU-Regierung und Landtagsmehrheit räumen offen ein, daß sie spezialisierte Abbruchkliniken in Bayern nach Möglichkeit verhindern wollen. Bei der ärztlichen Beratung sollen „kommerzielle Interessen“ keine Rolle spielen. Friedrich Stapf kann die Bedenken der bayerischen Regierung nicht nachvollziehen. Eine spezialisierte Einrichtung könne es sich viel eher leisten, eine unsichere Schwangere abzuweisen. Dagegen sei es für einen Arzt, der nur wenige Abtreibungen durchführt, viel lästiger, wenn sich seine Vorbereitungen im Einzelfall nicht „rentieren“.

Auch der Anstieg der Abtreibungen kann nicht gegen Stapf und Freudemann ins Feld geführt werden. Denn gleichzeitig sank die Zahl der Abbrüche in Hessen, wo einst viele bayerische Frauen Hilfe suchten. Ein Erfolg der bayerischen Regelung würde nur den alten Abtreibungstourismus neu beleben. Doch dies scheint dem Freistaat egal zu sein, Hauptsache, Bayern ist „sündenfrei“.

Hoffnung gibt den beiden Ärzten, daß sich mit ihrer Eingabe nicht der Zweite Senat des Verfassungsgerichts beschäftigt, der vor vier Jahren den Abtreibungskompromiß des Bundestags verschärfte. Da es diesmal um Berufsrecht (und nicht um Strafrecht) geht, ist jetzt der fortschrittlichere Erste Senat zuständig. – Bei der auf bayerischen Wunsch angesetzten mündlichen Verhandlung geht es noch nicht um den eigentlichen Inhalt der Verfassungsbeschwerde, vielmehr führt das Gericht nur eine Folgenabwägung durch: Wären die Schäden gravierender, wenn die beiden Abtreibungskliniken erst einmal geschlossen würden, und hinterher stellt sich heraus, daß das Gesetz verfassungswidrig ist?

Oder ergäben sich schlimmere Folgen, wenn das bayerische Gesetz bis zur endgültigen Entscheidung ausgesetzt wird, obwohl es sich letztlich doch als grundgesetzkonform entpuppt? Nur im ersten Fall kommt eine einstweilige Anordnung in Frage.

Erst vor wenigen Wochen war ein ähnlicher Fall entschieden worden. Damals stoppte Karlsruhe das von der Bundesregierung verfügte Verbot der Frischzellentherapie. Einige Mediziner, die auf diese umstrittene Therapieform spezialisiert sind und um ihre Existenz fürchteten, hatten mit Erfolg eine einstweilige Anordnung beantragt. Wird heute mit gleichem Maß gemessen, müßten die Chancen für den Antrag von Stapf und Freudemann gut stehen.

Auf seiten der bayerischen Regierung scheint man nervös zu werden. Vergangene Woche lud diese einige der vom Gericht geladenen Sachverständigen zu einem „Treffen“ ein. Anwesend waren Vertreter der Landesärztekammer und der kassenärztlichen Vereinigung sowie der Krankenkasse AOK. „Wir haben nur um einige Daten gebeten, die bei uns nicht vorliegen“, so Dorothee Erbenstein, Sprecherin der Münchener Staatskanzlei. Keineswegs sei es dabei um eine gemeinsame Verhandlungsstrategie gegangen.

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