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Umsteigen auf die private Schiene

SPD-Papier schlägt vor, BVG-Busse und -Bahnen bis 1999 teiweise zu privatisieren. ÖTV kündigt Widerstand an. BVG muß weiter entlassen. Erhöhung der Fahrpreise kein Tabu  ■ Von Peter Sennekamp

Das Land verkauft seinen Besitz. Nach der Bewag sind bald die Bankgesellschaft, die Wasserbetriebe und die Gasag an der Reihe. Und jetzt traut sich die SPD an einen Brocken heran, der mehr Sprengstoff enthält, als alle anderen Privatisierungen: die Berliner Verkehrsbetriebe BVG. In einem Papier schlägt Christian Gaebler, Verkehrsexperte der SPD vor, die BVG demnächst in eine U-Bahn-, Straßenbahn- und Busgesellschaft aufzuspalten. Unter dem Dach einer landeseigenen Holding sollen private Unternehmen die Strecken befahren. Die Schienennetze, Bahn- und Betriebshöfe, sollen dagegen in Staatsbesitz bleiben und an die Privatunternehmen vermietet werden.

SPD-Experte Gaebler will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen soll die BVG überlebensfähig gemacht werden. Denn ab 1999, so sehen es die Richtlinien der Europäischen Union vor, dürfen private Unternehmen mit dem bislang staatlich organisierten Nahverkehr konkurrieren. Zum anderen zielt Gaeblers Vorschlag darauf, die Kosten des Landes durch die Privatisierung zu senken. Im Jahr 1999 läuft der Unternehmensvertrag aus, über den die BVG derzeit pro Jahr 970 Millionen Mark an Landeszuschüssen erhält. Nachdem das BVG-Budget in den vergangenen vier Jahren bereits um 600 Millionen Mark heruntergekürzt und 9.000 Stellen vernichtet wurden, sollen spätestens bis zur Jahrtausendwende abermals 2.700 Jobs gestrichen werden – auch um die leeren Landeskassen weiter zu entlasten.

So sucht die SPD nun nach einer halbwegs sozialen Lösung des Kosten- und Wettbewerbsproblems. Verkehrsexperte Gaebler schlägt dabei einen eigentümlichen Weg ein: Er will die BVG in eine landeseigene Dachgesellschaft (Holding) umformen, die im Besitz der Infrastruktur bleibt, die Fahrpreise festlegt und die Strecken vorgibt, die befahren werden müssen. Die Betriebshöfe mit den Bussen und Bahnen soll die Holding an private Unternehmen vermieten, die dann in Eigenregie die Strecken betreiben. Wenn die Holding zukünftig in regelmäßigen Abständen die Streckennetze öffentlich ausschreibt, dann erhält – so die SPD- Idee – derjenige private Bewerber den Zuschlag, der die geringsten Betriebszuschüsse von der Holding verlangt.

Doch die SPD will noch mehr. Sie erwartet, daß die BVG-Angestellten dann in die privaten Betreibergesellschaften übernommen werden, solange Personalbedarf besteht. Allerdings spielt auch ein Hintergedanke eine Rolle: Die SPD macht mit ihren Überlegungen zur Privatisierung Druck auf die BVG, um die Tarife der Angestellten schon bald auf privatwirtschaftliches Niveau zu senken. So kann es denn auch nicht verwundern, daß ÖTV-Gewerkschaftsboß Kurt Lange harsche Kritik übt. Lange argumentiert aus Kostengründen gegen die Privatisierung. Selbst wenn private Anbieter die BVG-Angestellten ersetzen würden, seien letztere tariflich abgesichert und verblieben, weil unkündbar, in staatlichen Überhangstellen. So entstünden Kosten für die überflüssig gewordenen Angestellten, die weiter aus der Landeskasse bezahlt werden. Zusätzlich aber bräuchten, so Lange, auch die neuen, privaten Betreiber Staatsgelder.

Auf der Suche nach einem neuen Verkehrskonzept für Berlin sind jüngst Fahrpreiserhöhungen in den Blick der Kontrahenten gerückt. Hier zeichnet sich jedoch eine unangenehme Einigkeit ab. ÖTV, BVG und SPD sprachen einhellig von Einnahmeverbesserungen durch eine Angleichung der Fahrtarife auf das höhere Niveau anderer westdeutscher Städte. Und das BVG-Beratungsunternehmen Bossard, daß seit 1992 für die BVG Konzepte entwirft, hat da schon konkrete Vorschläge: So sollte etwa die „Smart Card“, bei der jeder BVG- Kilometer dem Kunden von einer Chipkarte abgebucht wird, eine gerechtere Verteilung der Kosten und eine Verbesserung der Einnahmen erbringen. Auch für SPD- Experten Gaebler sind Fahrpreiserhöhungen kein Tabu.

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