: Urlaub fürs Knüppeln
■ Auch 30 Jahre nach den ersten Unruhen in Rom versteht ein Polizist immer noch nicht, warum er damals nicht hätte draufhauen sollen
Ottavio C., heute 57, gehörte zu den Carabinieri, die sich in den sechziger Jahren in Rom Straßenschlachten mit Studenten und Arbeitern lieferten.
taz: Nach Aussagen von Studenten haben Sie damals mindestens fünf junge Menschen krankenhausreif geschlagen, einer davon ist bis heute teilweise gelähmt.
Ottavio C.: Die Anklagen stimmen. Ich kann aber beim besten Willen nicht mehr sagen, wen ich getroffen habe.
Will heißen, daß Sie einfach losgeschlagen haben, oder?
Natürlich. Machen Sie mir mal vor, wie das zu bewerkstelligen ist, wenn der Befehl kommt: „Auseinandertreiben“, und da stellen sich Ihnen 30 Leute in den Weg.
Ist Ihnen nicht ein Zweifel gekommen, ob der Befehl Unsinn oder Unrecht gewesen sein könnte?
Nein. Heute weiß ich, daß die Anordnung damals auch von unseren Oberen nicht überlegt war. Ich denke, im Grunde waren die damals auch nicht viel schlauer als wir. Wir haben die „Zusammenrottung“ von Menschen immer als Bedrohung eingeimpft bekommen, und wenn's hieß: auseinander, haben wir losgelegt. Daß die Leute, die da zusammengekommen waren, womöglich im Recht waren, fiel uns gar nicht ein.
Erinnern Sie sich noch an Ihre Empfindungen, als Sie draufgeschlagen haben?
Ja, doch, ich denke ja. Einerseits war jeder, den ich getroffen habe, einer weniger, der mich hätte hauen können. Andererseits gab es regelrecht ein befriedigendes Gefühl, diese Leute davonlaufen zu sehen, nachdem sie uns vorher mit Steinen beworfen und mit Schrauben aus Steinschleudern beschossen hatten. Vielleicht glauben Sie's nicht, aber für dieses Gefühl schäme ich mich heute.
Inwiefern?
Mir ist klargeworden, daß ich nicht aus Gründen des Rechts losgeschlagen habe, sondern weil ich einfach darauf dressiert war. Menschliches Gefühl hatte ich damals nicht. Es war wie beim Üben mit dem Sandsack: draufhauen. Und wer am schnellsten ist, bekommt einen Tag Urlaub.
Haben Sie sich mit den politischen Zielen der Studenten und Arbeiter von damals irgendwann auseinandergesetzt?
Zwangsweise, meine Tochter war zehn Jahre später mit einem Sympathisanten der Terrororganisation „Prima linea“ befreundet.
Was ist herausgekommen?
Ich weiß nicht recht. Politische Ziele mit Gewalt durchzusetzen, vor allem mit Mord und schwerer Körperverletzung, und noch dazu unter Inkaufnahme von Todesfällen völlig Unbeteiligter, das betrachte ich bis heute als Verbrechen ohne Wenn und Aber. Insofern habe ich da meine Meinung überhaupt nicht geändert. Andererseits sehe ich heute das Recht des Staates zu reagieren etwas anders als damals. Ich glaube nicht, daß ein Polizeiführer oder ein Innenminister das Recht hat, irgendwelche Demonstrationen mit Gewalt aufzulösen, bevor nicht konkret Gewalt von der Demo ausgeht. Und auch hier muß er Mittel finden, die genau die Rechtsbrecher treffen, nicht die Teilnehmer im allgemeinen.
Geht denn das überhaupt?
Es geht, wenn man will. Man muß viele Agenten einschleusen, aber diese wiederum so führen, daß sie nicht ihrerseits Scharfmacher sind. Das ist allerdings ein Problem.
Ist Ihre Meinungsänderung bei Italiens Ordnungshütern verbreitet?
Nein. Die meisten meinen, damals habe eben eine andere Logik gegolten, insofern brauche man sich nicht zu rechtfertigen. Für mich ist das aber so, wie wenn man Kriegsverbrechen eben mit Krieg rechtfertigt. Das gilt übrigens auch für die andere Seite, die Terroristen und die Schläger der militanten Organisationen. Auch sie rechtfertigen ihre Taten oft so. Ich denke, hier muß man vielleicht beiden Seiten auch mal mit dem Gummiknüppel auf den Kopf hauen, damit sie endlich denken lernen. Interview: Eleonora di Pinto
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