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Digitales Navigieren

Jeffrey Shaw hat die fotografische Miniatur als Blow-up befahrbar gemacht. Sein Panorama „Place – a user's manual“ ist in Bonn zu sehen  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Zu den Gemeinplätzen in Gesprächen über Globalisierung gehört es, zu behaupten, daß alle Städte sich gleichen. Dahinter steckt die Furcht vor dem Verlust der Erfahrung oder der Nivellierung von Erfahrung durch universelle Zeichen.

Das wäre die Weltschmerzvariante des intellektuellen Reisenden, der von der Austauschbarkeit der Orte natürlich nur wissen kann, wenn er die Orte auch bereist. Er ist also Benutzer der Struktur, über die er klagt.

Das Gegenteil war, vor zwanzig Jahren noch, der Jetsetter, der sich brüsten konnte, mit der Sonne geflogen zu sein, dem Tage geschenkt wurden oder Nächte fehlten, der soeben noch in Tokio oder Toronto gewesen war, um mit seiner Welterfahrung in Düsseldorf oder Frankfurt dazustehen als überlebensgroße Figur.

Inzwischen schweigen die Benutzer von Langstreckenmaschinen über ihre transkontinentale Verschwendung von Ressourcen. Ihre sozialen Nachfolger sind die Surfer der elektronischen Systeme, deren Globalität auf einen Ort der Erfahrung, den Bildschirm, zusammenschrumpft: eine Miniatur.

Jeffrey Shaw gehört weder zur Weltschmerzfraktion noch zu den Propheten der Virtualität. Aber seine visuell ausgefuchste Arbeit bezieht sich auf den Prozeß der Miniaturisierung; auf den Widerspruch, alles erfahrbar machen zu können und dabei die Subjektivität des Standpunkts einzubüßen. Eine komplexe Installation, die er im Keller der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn präsentiert, heißt „Place – a user's manual“ (Ort – eine Gebrauchsanweisung), ein außerordentlich schlichter Titel für das, was tatsächlich zu sehen ist.

Technisch handelt es sich um eine kreisrunde Leinwand, die nur unterbrochen ist durch einen Schlitz, der den Eingang abgibt. In der Mitte des Kreises steht eine drehbare Kanzel, die jeder, der sich traut, in Kapitänsfunktion betreten darf. Ein Drittel der Leinwand zeigt ein Bild. Man sieht sich in einer Art Wüstenlandschaft mit endlosem Himmel, in die eine unüberschaubare Anzahl runder Container gesetzt worden ist. Die Steuerungsfunktion der Kanzel erlaubt es, im Zoom bei mittlerem Tempo in die Landschaft hineinzufliegen.

Nähert man sich einem der Zylinder, wie Shaw die Behälter nennt, erkennt man auf der Außenhaut eine Landschaft wie auf einer Fototapete. Die Außenansicht kommt näher, füllt das Format; dann, Schnitt, springt man in den Behälter hinein und sieht dieselbe Landschaft, die man eben konvex gesehen hat, nun aus der Binnensicht konkav.

Mit einem Knopfdruck kann man sich in der Perspektive zentrieren. Jetzt wird eine andere Funktion der Steuerungskanzel interessant: die Drehung. Mit einem Griff, der der Lenkstange eines Motorrollers ähnelt, fährt man im Kreis und grast das ganze Panorama ab. Hat man davon genug, muß man nur vorwärtsfahren und springt somit wieder in die offene Landschaft.

Die Behälter sind nicht, wie man zunächst meinen möchte, in großer Zahl vorhanden. Es sind elf Stück, und sie stellen extrem verschiedene Ort dar: eine ländliche Szene im Schnee, ein Naturwunder im felsigen Teil Australiens, eine Bucht auf Bali, einen sehr eigentümlichen Friedhof und einen Blick in die Altstadt von Konstanz, der an einer Stelle orangefarben überlagert ist, very strange.

Der Fehler im System offenbart die Quelle: Die Panoramen sind nicht, wie man durch die Eigenbewegung auf der Kanzel unterstellen würde, gefilmt, sondern sie sind fotografiert. (Es gibt zu dem Zweck eine Kleinbildkamera, die mit ihrer Linse im Bruchteil einer Sekunde den Kreis abfährt und einen Filmstreifen rundum belichtet.)

Die Panoramen sind so gewählt, daß sie gewisse Stereotype von Kultur und Zivilisation bedienen. Das Beschauliche und das Gewöhnliche verschränken sich. Es wird nicht gesagt, wo man sich befindet. Die Atmosphäre des einen Ortes (des Strands) macht Sehnsucht nach einem anderen Ort (dem Stadtrand, an dem Ölcontainer stehen, die den Panoramazylindern gleichen). Wirklich aufregend zu betrachten sind die Szenerien dann, wenn man sich mit einem leichten Schwenk nach oben in eine Art Kinderwagenperspektive bringt und näherzoomt. Dann rast die fotografische Landschaft als digitales Fragment vorbei.

An der Kanzel ist übrigens auch ein Mikrofon installiert mit dem Zweck, die Stimme des users aufzufangen. Egal, was er/sie sagt: Der Klang evoziert ein Programm von Sätzen, die als Blockbuchstaben in den Landschaften auftauchen, sie durchwandern und wieder verschwinden. Ich glaube nicht, daß man sie wirklich lesen soll. Sie vertreten wohl im Panorama, das nach den Regeln der Dokumentarfotografie erstellt ist, die Partikel des Gedachten und erinnern daran, daß die Totalität der Erfahrung, die sich dem Benutzer auftut, eine ganz und gar künstliche ist.

Jeffrey Shaw, vor 53 Jahren in Melbourne geboren, ist Professor für Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Eine jüngst erschienene Monographie dokumentiert seine Arbeit seit 1966, angefangen mit einem Film, der linolstichartige Abstraktionen in Sekunden-Takes abspult. Um 1970 entwarf Shaw gigantische Luft- und Wasserkissen, auf denen sich entfesselte Menschenmengen virtuelle Zärtlichkeitserlebnisse abholen konnten. Die Dia- und Lasershow der Genesis- Tournee „The Lamb Lies Down on Broadway“ (1975) stammte von ihm. In Deutschland ist er am bekanntesten für „Die lesbare Stadt“, die aus der Sicht eines Radfahrers Straßenzüge konkreter Städte in Buchstabenblocks übersetzt.

Jeffrey Shaws Kunst ist ein Hybrid im rasend sich wandelnden Feld von Mediapark und elektronischer Pädagogik. Sehr aufwendig recherchiert und makellos montiert öffnet „Place“ einen wunderlichen globalen Erfahrungsraum, der glücklicherweise nicht mit dem Argument „unendlicher Möglichkeiten“ daherkommt, sondern überschaubares Material in sinnlich stimulierender Form dem Benutzer anheimstellt. Die fotografische Miniatur wird erfahrbar als digitales Blow-up im Videoformat. Shaw benutzt keine Soundtracks. Insofern seine Welt still und endlich ist und auf den Betrachter zentriert ist, fällt sie in die Tradition der Landschaftsmalerei.

Jeffrey Shaw: „Place – a user's manual“. Bis 6. Juli, Kunst- und Ausstellungshalle, Bonn. Information: (0228) 9171-200 und http:// www.kah-bonn.de

„Jeffrey Shaw. Eine Gebrauchsanweisung. Vom Expanded Cinema zur Virtuellen Realität“. Texte von Anne-Marie Duguet, Heinrich Klotz und Peter Weibel, Cantz Verlag, 176 S., 68 DM

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