: „Viel Zeit, keine Wohnung“
■ 150 StudentInnen waren gestern auf Zimmersuche /Die Unterstützung nach dem Brand an der Uni war enorm / Angebote von Gewoba bis zum Hotel Munte
Grau geworden ist das Wohnheim „Mensa“über Nacht. Doch zu seinen Füßen lief gestern das Leben auf dem Campus in vertrauten Bahnen. Kaum etwas ließ hundert Meter weiter darauf schließen, daß hier vorgestern ein elfstöckiges Studentenwohnheim Feuer gefangen hat, 150 BewohnerInnen evakuiert werden mußten. Sie alle haben die Nacht bei Freunden verbracht; die im Studentenwohnheim an der Vorstraße eingerichtete Notunterkunft blieb unbenutzt. Zehn bis fünzehn müssen dauerhaft eine neue Bleibe finden.
Auch über die Ursache des Feuers konnte gestern nur spekuliert werden. Ein Kripobeamter teilte mit, kurz vor Ausbruch des Brandes seien zwei Kinder auf dem Dach der Mensa gesehen worden. Auch ist noch unklar, wie lange das Gebäude geschlossen bleiben muß - mindestens bis Anfang nächster Woche. Für Essen war gestern zumindest notdürftig gesorgt.
Am Block GW2, dem Studentenhaus, nämlich steht „Dieter“mit seinem „Roll on“, der „frische“Imbiß, der sonst nur die fünfzig Drittmittelzuträger-Firmen im Dunstkreis der Uni beliefert. Und „Dieter“hat heute morgen im Radio gehört, daß 4000 Studenten seit gestern abend keine Mensa mehr haben. Das hat sich bis zur Mittagspause herumgesprochen. Dieter hat zu tun.
Zwei Stockwerke weiter oben sieht man die verkohlten Überreste der Mensa. Im Moment ist kaum vorstellbar, daß hier nochmal einer Platz nimmt. „Doch“, glaubt Udo Prinz, stellvertretender Geschäftsführer der Studentenwerke, „aber wahrscheinlich nicht bis Ende des Semesters“. Ab kommendem Montag soll eine provisorische Essensausgabe in einem anderen Trakt der Uni eingerichtet werden.
Jäh wird der Sprecher unterbrochen. Ob er endlich in seine Wohnung dürfe, fragt ein ungestümer Ex-Bewohner des Ex-Wohnheims. Udo Prinz vertröstet ihn. „Ein paar Wertsachen“, so berichtet er, habe jeder schon gestern aus seiner Wohnung holen dürfen, jetzt müßten erstmal die Ermittlungen abgeschlossen und die zehn bis zwölf aus- bis halbverbrannten Wohnungen einbruchssicher verrammelt werden.
Um 15 Uhr, ruft er dem furiosen Studenten hinterher, gäbe es zur Klärung aller Fragen ein Treffen in der Wohnheimverwaltung bei Frau Glinka – hat er Zeit? „Viel Zeit und keine Wohnung!“
Und die restlichen 139 Appartementmieter – wo sind die?
Zum Beispiel bei Maria Glinka im Büro. Nicolai Parplies sitzt da und sagt: „Ich bin relativ ruhig. Nur heute nacht, wenn ich die Augen zumachte, dann sah ich mein Zimmer“.
Den 19-Quadratmeter-Wohnraum des Vierundzwanzigjährigen gibt es nicht mehr. „Man konnte da den Kugelschreiber nicht mehr vom Kühlschrank unterscheiden“, sagt Maria Glinka, seine Vermieterin. In Latschen und braunem Sweatshirt sitzt der junge BWL-Student ihr gegenüber. Mehr als das hat er nicht mehr.
Den Bremerhavener hat es am schlimmsten getroffen. Noch zwei weitere Wohnungen bei ihm im dritten Stock seien fast ausgebrannt – aber beim Nachbar gegenüber sei zumindest noch der Kleiderschrank heil. Hausratsversichert ist wohl kaum einer im Haus; Nicolai Parplie auch nicht. Maria Glinka ruft zur Spendensammlung auf, die sie gern auch selber koordinieren könne. Telefon 2201116. „Wenn sein Freund nicht noch gekommen wäre – ich hätte den mit nach Hause genommen“, sagt Frau Glinka; unheimlich ruhig sei der gewesen, fügt sie hinzu und hat jetzt Tränen in den Augen.
„Ich bin nicht materialistisch“, sagt Nikolai Parplies dazu. Trotzdem - seine Vordiploms-Klausur könne er sich dieses Jahr wohl schenken – ohne Bücher und PC. Nur eine Wohnung hat er erstmal wieder.
So wie weitere vierzig Wohnungssuchende, die sich bis 15 Uhr bei Frau Glinka eingefunden haben und vermittelt wurden: In andere Wohnheime, in Wohnungen, die die Gewoba angeboten hatte - oder kostenlos für 14 Tage ins Hotel Munte. „Bis in die Nacht wurde ich mit Wohnungs- und Hilfsangeboten überschüttet“. ritz
Der Asta veranstaltet heute um 12 Uhr wegen des Brandes eine Vollversammlung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen